Die Leute von Danubius oder: Eine kleine Geschichte über Pressefreiheit

 

In Danubius hat Punkt 16 Uhr jeder Feierabend. Die Bäckerei, das Gericht, die Polizeistation und die Gärtnerei schließen, das Radio hört auf zu senden, das Rathaus wird zugeschlossen. Deshalb gehen wir als Zeitung rechtzeitig in Druck, um 16 Uhr mit einer neuen Ausgabe auf den Straßen stehen zu können. Wir sind insgesamt sieben Mitarbeiter und so viele wie möglich schwärmen dann aus, die Bildschirme der Computer flackernd und die Notizbücher aufgeschlagen auf den Schreibtischen zurücklassend.

„Zeitung! Kauft die neue Zeitung!“, rufen sie, während sie die wenigen Straßen der Stadt durchkämmen, die sich um eine mittelalterliche Kirchenburg schlängeln. Kleine Trauben von kleinen Menschen sammeln sich um die Reporter und kramen in ihren Taschen nach Geld und lesen die Zeitung meist noch an Ort und Stelle, die Köpfe geneigt, die Augen auf dem Blatt von links nach rechts wandernd. Das Papier ist dann oft noch warm vom Drucken und die Finger der Redakteure werden mit jeder verkauften Zeitung schwärzer.

Etwa jede vierte Person in Danubius kauft unsere Zeitung, die DanubiNews, jeden Tag. Man geht davon aus, dass eine Zeitung im Durchschnitt von drei Personen gelesen wird. Wenn das stimmt, haben wir eine höhere Einschaltquote als jedes WM-Finale, denn in Danubius leben nur etwa 200 Menschen.

Unsere Zeitung hat zwei Seiten: vorn Politik, hinten Klatsch und der Witz des Tages. Die Menschen hier lesen die Zeitung nicht kopfschüttelnd oder Augenbrauen runzelnd – sie schütten sich aus vor lachen oder stampfen mit dem Fuß auf oder kratzen sich mit dem Finger an der Stirn, wenn sie etwas nicht verstehen – aber wie überall anders auch, ist die Zeitung bereits nach dem Abendessen wieder vergessen.

Doch heute ist das anders. Heute hat unsere Berichterstattung die Bevölkerung in zwei Lager gespalten, die sich schreiend und weinend und Fäuste in der schwülen Luft schwingend gegenüber stehen und ihr Abendessen ganz vergessen.

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Warum ich aus Sachsen weggezogen bin

Der Text ist erstmalig im März bei Krautreporter erschienen. Für Das Magazin aus der Schweiz habe ich noch ein paar Absätze zur AfD ergänzt. Für diesen Blog habe ich nun beide Versionen zusammengeführt und aktualisiert sowie um einige Reaktionen ergänzt. Alles was neu ist, ist kursiv gesetzt.

Zwickau, Mitte der Neunzigerjahre: Ich war gerade aufs Gymnasium gekommen, Deutschland gewann die Fußballeuropameisterschaft und meine Nachbarn feierten Adolf Hitler. Meine Nachbarn, das waren die „HooNaRa“ – Hooligans, Nazis und Rassisten. Die hießen wirklich so. Es stand auf ihren T-Shirts und auf ihren Bannern. Weiß auf Schwarz.

Sie standen im Fan-Block des FSV Zwickau, sie besetzten die Terrasse des Eiscafés im Freibad, sie veranstalteten Konzerte und hatten einen Klamottenladen in der Innenstadt. Und ab und zu feierten sie auf dem Fahrübungsplatz hinter dem Haus meiner Eltern. Dort hatten sie eine kleine Baracke.

Weil Nazis gern um Feuer herumstehen, wenn sie Nazifeiern machen, und auf Fahrübungsplätzen nicht viel Brennbares zu finden ist, suchten sie nach Holz in der Nähe und fanden unseren Zaun. Er brannte gut und knackte wie ein altes Grammophon, während die HooNaRa drumherumstanden, unfassbare Mengen Bier tranken und Sieg Heil riefen. Wenn 50 Männer gemeinsam singen, kann man das sehr weit hören. Manchmal kletterten mein Bruder und ich auf das Vordach unseres Hauses, drückten uns an die Hauswand und beobachteten sie.

Meine Eltern riefen die Polizei. Die Polizei sagte, man wisse schon Bescheid. Man könne aber nichts machen – man habe nicht genug Leute. Meine Eltern schrieben dem Ordnungsamt – der Ordnungsamtsleiter rief zurück und sagte: Das sind nur Dumme-Jungs-Streiche und er habe Wichtigeres zu tun. Bald hatten wir keinen Zaun mehr.

Einmal stand ein Polizeiwagen in der Einfahrt zu unserem Haus, während die Nazis wieder mal feierten. Zwei Polizisten blitzten Raser. Wir gingen hin zu ihnen. „Hören Sie das nicht?“, fragten wir.

„Was denn?“

„Die Sieg Heil-Rufe?“

„Und? Was soll’mern da jetzt machen?“

Es waren nicht nur Dumme-Jungs-Streiche, die die HooNaRa ausheckten. Das hätte man damals schon wissen können. Heute muss man es wissen – einige von ihnen gehörten zum Netzwerk des späteren Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Sie halfen beim Töten. HooNaRa-Anführer Ralf „Manole“ Marschner arbeitete zehn Jahre lang für den Bundesverfassungsschutz, wie 2013 bekannt wurde.

Nach eigener Aussage ist er dem Trio in Zwickau nie begegnet. Nach Aussagen ehemaliger Mitarbeiter beziehungsweise Geschäftspartner hat er die Neonazis hingegen sogar in seiner Baufirma und seinem Klamottenladen beschäftigt. Zudem hat er gemeinsam mit Beate Zschäpes wohl bester Freundin, Susann Eminger, deren Ehemann als Helfer des Trios in München angeklagt ist, in Zwickau 2001 eine Kneipe überfallen. Mit anderen Nazis an Hitlers Geburtstag. Politische Motive sah die Staatsanwaltschaft nicht. Marschner, in Zwickau oft nur „Moh“ (für Mann ohne Hals) gerufen, lebt heute in der Nähe von Chur und hat ein Antiquitätengeschäft in Liechtenstein. 

Der Ordnungsamtsleiter von damals ist heute Stadtrat in Zwickau. Er ist CDU-Mitglied und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Heute sagt er, er kann sich an solche Vorfälle nicht erinnern – ergo: „Da musst du was verwechselt haben“, schrieb er mir (und an die Redaktionen von Krautreporter und Freie Presse) nach Erstveröffentlichung dieses Artikels und schiebt noch hinterher: „Freunde machst du dir damit nicht.“

Bei der Polizei hat sich nicht viel geändert seitdem, darauf komme ich gleich nochmal zurück. Mein Bruder und ich sind aus Zwickau weggezogen, wie die meisten unserer Freunde, bald nach dem Abitur.

Ein Kommissar auf eigener Mission

Vor fünf Jahren bin ich zurück gekommen, um erst in Chemnitz, dann in Zwickau für die Tageszeitung Freie Presse zu arbeiten. Vielleicht auch, um meine Heimat wiederzufinden. Nazis – nennt sie von mir aus wie ihr wollt – gab es hier schon immer. Das wussten alle außer der CDU. Aber was musste geschehen, dass sie die Überhand gewinnen? Was haben wir – ich und die anderen, die sich für die Guten hielten – falsch gemacht?

Ein Beispiel: Vergangenen Sommer sehe ich, wie in der Fußgängerzone ein Mann eine Roma anschreit. Die Frau saß dort, direkt vor dem Eingang der Redaktion, seit einigen Tagen mit ihrem Pappbecher auf dem Kopfsteinpflaster und sagte: Gutetag.

Der Mann war ein sehr wütender und auch ein sehr muskulöser. Er forderte die Frau auf, aufzustehen und abzuhauen. Und er hatte offensichtlich vor, so lange zu brüllen, bis sie geht. Ich habe den Mann gefragt, was genau er denn da macht. Da wendete er sich sofort von der Frau ab, trat bis auf Bockwurstlänge an mich heran und durch seinen voluminösen Brustkorb pumpte Wutblut. Ich hätte mich hier nicht einzumischen und solle gehen. Da habe ich ihm gesagt, dass er kein Recht hat, irgendjemanden herumzukommandieren. Darauf sagt er: Doch!

„Dann sind Sie also gerade in dienstlichem Auftrag?“, frage ich ihn.

„Sie behindern hier eine Polizeiaktion. Ich verweise Sie vom Platz!“

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Kummer ist Fiktion

Ich liebe dich zu sehr, um mit dir zusammen sein zu können. Das war die Begründung, mit der die Lektoren abgelehnt hatten, mein Buch in ihrem Verlag rauszubringen. Der Verlag sei ein Sachbuchverlag, und mein Stoff würde sich besser als Fiktion verkaufen lassen.

Ich sagte Ihnen, dass das für mich keinen Unterschied macht, da alles, was ich erlebt hatte, besser war als alles, was ich mir ausdenken könnte. Ich würde also versuchen, so gut es geht die Wahrheit zu erzählen – und warum sollte ich dann so tun, als hätte ich mir die Geschichte nur ausgedacht? Weil man damit viel mehr Geld verdienen kann, sagte die Lektorin.

Sie gaben mir ihre Visitenkarten als wären es 50 Euro-Scheine. Ich beschloss zum Promoauftritt von Phoenix im Kulturkaufhaus Dussmann auf der Friedrichstraße und dann zu Frittenbude in Huxleys Neuer Welt zu gehen.

Ich hatte massiven Bierdurst. Was für ein glorreicher erster Satz, dachte ich. So sollte mal eine Kurzgeschichte anfangen. Ich hatte aber auch wirklich großen Appetit auf ein Bier, als ich das Dussmann betrat, und dieser Satz wurde der erste Satz dieser Geschichte. Danach habe ich zwei Absätze geschrieben, die vor jenen Satz gehören, siehe oben.

Da „Ich hatte massiven Bierdurst“ natürlich in Wahrheit ein völlig verblödeter erster Satz ist, ist das auch gut so. Zu diesem Zeitpunkt (also dem des Schreibens, nicht des Durstigseins), weiß ich auch noch gar nicht, was der erste Satz sein wird. Mal überraschen lassen. In diesem Moment ist der Leser schlauer als ich.

„Arschfahl klebte der Mond am Fenster“ ist der erste Satz eines Krimis von Helge Schneider, glaube ich. Von meinem Fenster aus ist kein Mond zu sehen, dafür das Parkdeck von Kaufland, ein Bürogebäude und eine Fabrikhalle, in der noch Licht brennt. Alles blau angeblinkt von einem Krankenwagen, der vor dem Altersheim nebenan steht.

„Ich saß an dem Ort, an dem die Leute immer sitzen, wenn sie etwas sagen wollen: Lokal. Bier.“ Das ist der erste Satz in Moritz von Uslars „Deutschboden“. Die Kulturbühne ist nicht so ein Ort. Eigentlich ist es nur ein kleiner Saal im Café Ursprung, das ein siemensgrüner Alptraum im Untergeschoss des Dussman ist.

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Dennys Freunde

Denny war ein Nazi. Jedenfalls sah er so aus. Er trug immer eine glänzende grüne Bomber-Jacke mit orangefarbenem Innenfutter. Ich glaube, er war sehr stolz darauf. Manchmal trug er sie sogar beim Aufwärmen vor dem Spiel, aber das hat ihm der Trainer dann verboten. Außerdem trug er immer Jeans und schwarze Springerstiefel. Denny war Stürmer in meiner Fußballmannschaft. Wir waren damals in der C-Jugend, also vielleicht 14 Jahre.

Er hatte aschblondes Haar, das er sich mit der Maschine selber schnitt. Drei Millimeter war zu kurz. Zwölf Millimeter fand er zu lang. Die Haarlänge war Denny sehr wichtig. Wir machten uns oft lustig darüber, wenn er in der Kabine saß, die Wand anstarrte und mit der Hand über seine Haare raspelte. „Wird mal wieder Zeit für’n Friseur, was?“, neckten wir ihn.

Ansonsten war Denny ziemlich gut aussehend. Braungebrannt, schlank, muskulös, ein bisschen größer als wir anderen. Er hatte eine sichelförmige Narbe unter dem rechten Auge und ganz feinen blonden Flaum im Gesicht. Kein Bart, sondern super dünne Härchen, die man nur im Gegenlicht sehen konnte. Wie bei einem Pfirsich.

Die Nazi-Sache hat ihm eigentlich niemand abgekauft. Manchmal guckte ein abgewetzter Pappdeckel aus seiner Sporttasche heraus. Darin waren seine Schulaufgaben abgeheftet. Auf den Pappdeckel waren lauter Fenster mit Kugelschreiber gekritzelt. Er hatte Hakenkreuze gezeichnet und später aus Angst vor dem Lehrer Quadrate mit einem Kreuz in der Mitte daraus gemacht. Er hatte die Linien mehrfach nachgezogen und den Stift mit viel Druck aufgesetzt, das konnte man sehen. Alle lachten darüber und sagten, Denny ist ein Windows-Fan.

Er war auch nie mit dabei, wenn wir klauen gingen oder Benzin schnüffelten oder Gras rauchten. Das ist nix für einen ordentlichen Deutschen, meinte Denny. Ich fragte mich dann immer, was ein ordentlicher Deutscher so treibt in seiner Freizeit, außer Haareschneiden und Fußballspielen. Ob ein ordentlicher Deutscher wenigstens beim Fidschi klauen darf, war eine der Fangfragen, mit der wir ihn über die Bedeutung des Deutscheins ausfragten, das außer für Denny für niemandem wichtig zu sein schien.

Manchmal beleidigte er einen kleinen Russen, der bei uns spielte oder machte Witze über ihn. Edward, der Russe, reagierte aber nie darauf. Er war ein bisschen schwerhörig und sprach ein merkwürdiges Deutsch. Wie Denny redete er eigentlich so gut wie nie. Und wenn Außenseiter über Außenseiter Witze machen, lacht nie jemand.

Edward hörte nach ein paar Monaten im Fußballverein auf. Er hatte meist auf der Bank gesessen. Er fing dann mit Boxen an und bekam ein paar Muskeln und hing nur noch mit seinen Russenfreunden rum. Für ein paar Wochen im Herbst hatten sie die Kontrolle über den Gummi, einen kleinen Sportplatz mit Kunststoffbelag hinter der Sporthalle Neuplanitz. Sie saßen auf einem Frachtcontainer, der am Rand stand.

Sie bestimmten, wer auf dem Platz spielen durfte, und drohten allen Prügel an, die dachten, sie meinen es nicht ernst. Die Russen hatten den Ruf, gut boxen zu können und extrem brutal zu sein, wenn sie einmal los legen.


Einmal rief mich Denny zuhause an und fragte, ob ich mich vor dem Training mit ihm treffen will. Ein Freund von ihm hat Geburtstag, sagte er. Wir könnten kurz vorbei schauen, auf ein Bierchen. Ich war überrascht, weil Denny mich noch nie angerufen hatte, aber ich sagte ja.

Auf Leute, die ihn nicht kannten, konnte er schon einschüchternd wirken. Manchmal ging ich mit ihm nach dem Training noch zum Supermarkt und wir tranken irgendwo ein Bier, das wir dort gekauft hatten, und rauchten Zigaretten. Dann hoffte ich immer, dass mich jemand mit ihm sieht und dann denkt, ich hätte brutale Freunde.

Andererseits konnte es mir niemand von meinen Hip-Hopper-Freunden übel nehmen, wenn ich mit Denny, dem Nazi abhing. Es war ja nur der harmlose Denny aus meiner Mannschaft. Er war mal sitzengeblieben und deswegen hielten ihn alle für ein bisschen dumm. Aber er schoss eine Menge Tore, also war es egal.

Ich traf mich mit Denny an der Haltestelle am Baikal. Das Baikal ist ein Einkaufszentrum. Es gibt da einen Supermarkt, einen Blumenladen und ein Sonnenstudio, einen Friseur und eine Sparkasse. Damals bin ich mit meinen Freunden in fast jeden Supermarkt in der Nähe gegangen, um Alkohol und Zigaretten zu klauen oder irgendwas anderes. Das klingt, als wäre das alles ewig her, dabei war das vor vielleicht noch bis vor zwei Jahren so.

Wir klauten fast alles, Chips und Schokolade und Limo und Feuerzeuge und Frauenunterwäsche. Manchmal bildeten wir Zweier-Teams. Einer trug den Rucksack und achtete auf die Supermarkt-Mitarbeiter. Der andere lief dahinter und stopfte alles schnell in den offenen Rucksack. Wenn wir erwischt wurden, was häufig vorkam, sind wir einfach weggerannt. Nur im Baikal bin ich nie mit gewesen, weil dort der Vater eines Schulfreundes Marktleiter war, der auch meine Eltern kannte.

Denny und ich liefen zu einem sechsstöckigen Neubaublock, der schräg gegenüber vom Baikal lag. Ich trage dort Zeitung aus und erst jetzt ist mir aufgefallen, dass die meisten Wohnungen leer sind. Ich habe immer ein bisschen Angst, dass der Typ, bei dem wir gleich klingeln sollten, einmal zufällig auftaucht, wenn ich gerade die Zeitung bei ihm in den Briefkasten stecke. Ich will ihn auf keinen Fall wieder sehen.

Denny klingelte. Eine Männerstimme sagte Ja. Denny sagte Denny hier. Dann summt die Tür und Denny drückt sie mit der Schulter auf. Wir gehen bis in den dritten Stock. Im Treppenhaus riecht es nach Herbst und Hundefutter. Dann kann man hören, wie eine Tür aufgeht. Laute, schnelle Rockmusik dringt ins Treppenhaus, ziemliches Geschrammel. In dem Lied geht es um Bomben über Dresden, ich kann nicht viel vom Text verstehen, weil der Sänger meist schreit, aber die Zeile „Keine Chance zu entkommen“dringt klar und deutlich heraus, wie ein Warnruf.

Als wir oben ankommen, steht ein Typ mit Glatze, roter Bomberjacke und Springerstiefeln in der Tür. Als wir den Treppenabsatz erreichen und auf die Wohnungstür zulaufen, kann ich eine Hakenkreuzfahne erkennen, die die ganze Stirnseite des Flurs bedeckt. Ich würde jetzt ganz gern abhauen, aber das geht nicht mehr.

Denny und der Typ geben sich auf Nazi-Art die Hand. Dann hält der Geburtstags-Nazi auch mir die Handinnenflächen zum einschlagen hin und ich sage ihm auf Nazi-Art Hallo. Genauer gesagt sage ich „Hi“, was mir gleich ziemlich dumm vorkommt. Er hat blaue Augen wie Denny und mustert mich kurz. Ich trage eine weiße Jeans, die an den Hosenbeinen aufgeschnitten ist, Adidas-Hallenfußballschuhe und eine rot-blaue Puma-Trainingsjacke. Er dreht sich um und geht durch den kurzen Flur Richtung Wohnzimmer.

Unter der Bomberjacke trägt er ein eng anliegendes weißes T-Shirt, unter dem sich ein Körper abzeichnet, wie ihn Kickboxer haben. Wir stellen unsere Sporttaschen im Flur ab und folgen ihm ins Wohnzimmer. Dort sitzen schon zwei andere Nazis auf der Couch. Sie sind ein bisschen fetter, tragen aber auch Bomberjacken und Springerstiefel und Glatze.

Der Geburtstagsnazi setzt sich in den Sessel und zündet sich eine Zigarette an. Wir setzen uns auf die Couch, holen unsere Zigarettenschachteln raus und fangen auch an zu rauchen. Auf einmal brüllt der Geburtstagsnazi „Wo bleibt’n die Bowle?“ in Richtung Küche. Kurz darauf kommt ein Mädchen mit einer großen Glasschüssel Sektbowle, in der Dosen-Mandarinen schwimmen, herein, mit ihr ein kleiner Junge auf einem Plastiktraktor.

„Sollen wir die Scheiße aus der Schüssel saufen, oder was? Wir haben Gäste, hast du mitbekommen, oder? Hol Gläser.“ Das Mädchen starrt den Nazi kurz an und geht dann wieder in die Küche, Gläser holen. Sie stellt sie ab und taucht eine große Schöpfkelle in die Bowle. Die Schüssel, die Gläser und die Kelle sind aus Glas und gehören zu einem Set. Meine Eltern haben das gleiche.

Dann nimmt sie den kleinen Jungen, der auf dem Boden sitzt und mit einem Stück Linoleum spielt, das sich vom Fußboden löst, und trägt ihn weg.

Ich weiß nicht mehr genau, über was wir uns unterhalten haben an diesem Nachmittag. Ich war froh, dass wir einen Grund hatten, nicht lang zu bleiben. Wir hatten ja später das Fußball-Training. Und ich versuchte, nix Falsches zu sagen. Also nichts, was ich bereuen würde, weil es Nazi-Zeug war, und nichts, was mir hier Ärger einbringen würde.

Das Gespräch drehte sich um Bullen und Ausländer. Der Typ mit der roten Bomberjacke redete die meiste Zeit. Er hatte etwas sehr Überzeugendes in seiner Art und konnte gut reden. Die anderen hörten ihm meist nur zu und sagten manchmal, „Ja, man, stimmt! Diese Affen!“ oder: „die Kanaken und die Wessis reißen sich hier alles unter den Nagel“ oder sowas ähnliches.

Aber der Geburtstagsnazi war eindeutig der Anführer und ich versuchte mir auszumalen, was sie wohl so alles nazimäßiges anstellten, ob sie richtige Aktionen planten und wen sie als nächstes verprügeln würden.

Nach einer Stunde sagt Denny, wir müssen jetzt gehen. Alle stehen auf und wir klatschen ab und halten uns dabei an den Schultern. Der Geburtstagsnazi bringt uns zur Tür und sagt zum Abschied, wir sollen sauber bleiben.

Dann ging ich mit Denny zum Training. Ich war ein bisschen angetrunken von der Bowle und wir redeten nicht viel. Ich dachte darüber nach, wie oft Denny mit diesen Typen rumhing und ob er selbst schon mal jemanden richtig verprügelt hatte. Wir redeten auch später nie darüber. Denny redete, wie gesagt, allgemein nicht sehr viel.


Am Abend, nach dem Training, lief ich wieder zur Haltestelle am Baikal. Ich hatte etwas Zeit zu überbrücken, bis mein Bus kam, also ging ich in den Supermarkt. Ich blätterte durch ein paar Zeitschriften und schaute mir die Kassettenhüllen der Videos an, die erst ab 18 waren.

Dann kaufte ich mir ein paar grüne Gummi-Spaghetti und wollte gehen. Am Supermarkt-Ausgang kamen mir zwei Typen entgegen, die ich kannte. Sie waren zwei oder drei Jahre älter und gehörten zur Hip-Hopper-Clique. Ich hatte nie was mit ihnen zu tun, aber alle fanden sie cool und ich auch.

Sie blickten sich kurz an und liefen dann direkt auf mich zu. „Na, was läuft so, Großer?“, fragte der eine. „Du spielst doch bei Süd, oder?“, der andere. „Ja“, sagte ich. „Und, klauen gewesen?“, fragte der andere, von dem ich zum ersten Mal bemerkte, dass er einen Zopf trägt.

Nein.

Nicht? Aber wir haben dich doch gesehen.

Ich sagte, das kann gar nicht sein, aber in dem Moment steckten sie mir eine Packung mit Walkman-Kopfhörern in die Tasche meiner Trainingsjacke. Sie hakten sich beide bei mir ein, drehten mich um, und der eine, der mir die Kopfhörer zugesteckt hatte, sagte, sie würden jetzt mit mir zum Marktleiter gehen.

Wenn man jemanden beim Klauen erwischte und es zur Anzeige brachte, bekam man 100 DM Belohnung. Das stand auf einem Schild über jeder Kasse. Ich hatte es schon oft gelesen, aber mir nie etwas dabei gedacht. Eigentlich eine ziemlich clevere Art, Geld zu machen, dachte ich und war gleichzeitig ein bisschen beleidigt, weil sie sich ausgerechnet mich als Bauernopfer ausgesucht haben, denn ich hatte mir ausgemalt, ich würde irgendwann, wenn ich 16 bin oder so, auch mit ihnen abhängen.

Ich versuchte wegzulaufen, hatte aber nicht viel Hoffnung. Die beiden waren um einiges stärker als ich und krallten ihre Hände so fest in meine Oberarme, dass meine Unterarme taub wurden. Ich versuchte noch einmal mich loszureißen und bekam einen Arm frei. Dabei blickte ich zum Ausgang. Genau in diesem Moment kamen die drei Nazis zum Supermarkt rein, mit denen ich am Nachmittag Bowle getrunken hatte.

Der Typ mit der roten Bomberjacke rief laut „Ey, Robert“, als er mich erkannte. Die Drei kamen dann auf uns zugelaufen und fragten mich, was los ist. „Nichts, man, was soll denn sein, der Robert hier, den kennen wir vom Fußball, ham nur so gequatscht“, sagte der Typ mit dem Zopf.

Sah aber nach was anderem aus.

„Quatsch, Mann. Wie auch immer, wir ham noch besseres zu tun als mit dir zu plaudern“, sagte der, der mir die Kopfhörer zugesteckt hatte und die beiden Hip-Hopper gingen gerade so schnell raus, dass es noch nicht wie rennen aussah. Ich fragte mich, ob sie die Kopfhörer irgendwann zurückverlangen würden. Die zwei dicken Nazis wirkten ziemlich angetrunken, sie kriegten sich gar nicht mehr ein vor lachen.

Der Geburtstagsnazi sagt, wenn ich Lust habe, kann ich nochmal mit zu ihm kommen.


Alle verwendeten Fotos sind Standbilder aus einem fiktiven Dokumentarfilm von Henrike Naumann. Die 1984 in Zwickau geborene Künstlerin hat in ihrer mehrfach preisgekrönten Videoinstallation Triangular Stories die Jugendzeit von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt thematisiert, als das Trio sich noch nicht „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte. Mit ihrer aktuellen Arbeit, Museum of Trance, ist Naumann zur 4. Ghetto-Biennale nach Haiti eingeladen. Ein Warm-Up Event findet am 23. Oktober in Berlin statt.

Christian Gesellmann, 1984 in Zwickau geboren, ist für die Kurzgeschichte Dennys Freunde Anfang Oktober mit dem Zwickauer Literaturpreis ausgezeichnet worden.

Stundenlauf

Kummer läuft neuerdings nachts stundenlang durch Zwickau. Einfach so. Es ist so seine Art Zeitvertreib, wenn ihm die Welt zu klein wird. Zu Fuß erscheint sie größer. „Wie wenn man Erde unter dem Mikroskop betrachtet“, sagt er. Das hat er mal in einer Doku über Weinanbau auf Arte gesehen. Der Haufen braunschwarzer klumpiger Dreckbröckchen, der wie tote Materie auf der schwieligen Hand des Winzers lag, entpuppte sich unter der Vergrößerungslinse als ein Biotop mit tausenden Lebewesen, mit Springschwänzen, Tausendfüßern, Schnecken, Faden-, Regen- und Ringelwürmern, Ameisen, Milben, Aufguss-, Geißel- und Wimpertierchen und so weiter. Für die Winzer ist es wichtig, dass der Boden möglichst viel Leben enthält, weil die Tierchen die Erde auflockern. Dadurch kann der Regen zu den Wurzeln der Reben durchsickern.

So läuft Kummer nun also nachts mit dem Mikroskop durch Zwickau, um nach Leben am Boden zu suchen, irgendwo zwischen Fernblick und Eckersbacher Höhe, Weißenborner Wald und Wendeschleife Neuplanitz, wenn der letzte Rewe geschlossen und die Bürgersteige hochgeklappt sind.

Kummer war zehn Jahre lang nicht in Zwickau gewesen und ist dann wieder hergezogen. Er hat einen Job als Reporter bei der Lokalzeitung angenommen, befristet für ein Jahr als Schwangerschaftsvertretung. Als erstes fiel ihm auf, dass die Stadt so viel sauberer ist als früher, als man sich den Ruß von den Wangen waschen musste, wenn man durch den Olzmanntunnel gelaufen ist. Und dass die Autos neuer und größer geworden sind. Wenn man in den 90ern von München nach Zwickau fuhr, wurden die Autos an jeder Raststätte Richtung Nordosten ein bisschen kleiner und älter. Dafür hatten sie mehr Aufkleber auf den Stoßstangen. Meist mit dämlichen Sprüchen wie: „Wenn du so bumst wie du einparkst, kriegst du ihn nie rein“ oder mit Werbung, Radio PSR oder RTL. Heute sieht man in Zwickau selten noch Autos, die älter als zehn Jahre sind.

Dann fiel Kummer noch auf, dass es die Punks am Georgenplatz nicht mehr gibt. Und der Rossmann, in dem er das erste Mal beim Klauen erwischt wurde, jetzt eine Bankfiliale ist. Damals war er 13, er hatte in der Frühstückspause einen Trolli-Burger für 99 Pfennig eingesteckt und die Polizei holte ihn mit einem Streifenwagen ab. Es war wahnsinnig peinlich, und wenn ihn irgendjemand mit den Bullen gesehen hätte, hätte er sich eine Ausrede einfallen lassen. Es sah ihn aber niemand. Er musste auf die Wache Am Alten Steinweg. Später musste er noch 100 DM Strafe bezahlen. Und die Polizistin bestand darauf, dass Kummer seinen Vater anrief, um ihn abzuholen. Das war das dümmste von allen. Sein Vater kam, fragte, was los ist. Kummer sagte: „Ich bin beim Klauen erwischt worden.“ „Und jetzt?“, fragte sein Vater.

„Naja, ich hab noch Unterricht.“

„Da muss ich dich doch nicht hinfahren.“

„Nö, ich lauf’“

„Warum sollte ich denn dann herkommen?“

„Weiß ich nicht. Die haben gesagt, ich soll dich anrufen.“

„Hmm.“

„Ok, ich geh dann mal.“

„Ist gut“, sagte sein Vater. Er war gar nicht böse. Er schien eher Mitleid zu haben. Oder Mitgefühl. Er hat das Thema auch nie wieder angesprochen. Kummer war seinem Vater sehr dankbar dafür. Es hätte sowieso nichts geändert. Und Kummer wusste, dass seine Eltern genug eigene Probleme haben, er wollte ihnen nicht zur Last fallen. Das war einer der Hauptgründe, warum er sich in der Schule anstrengte. So lange die Zeugnisse gut ausfielen, stellte niemand Fragen.

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Der Streik

Manche warten auf eine Perspektive. Andere auf den Tod. Einige warten auf Liebe, andere auf ihren Nachschub C – und alle gemeinsam auf den Zug.

Die Zugführer der Deutschen Bahn streiken zum wiederholten Mal in diesem Jahr. Ich weiß nicht, ob es das dritte oder vierte Mal ist, denn ich habe aufgehört, Nachrichten zu lesen. Vielleicht herrscht in den Bahnhöfen größerer Städte Chaos, weil nur noch 20 Prozent aller Züge fahren. In Chemnitz und Zwickau scheinen sich alle damit arrangiert zu haben. Die überdimensionierten, unfreundlichen und zugigen Hallen der alten Bahnhöfe sind so gut wie leer. Nur einige Asylbewerber und verwirrte Rentner sind von dem Streik überrascht, was bei beiden Gruppen kaum auffällt, denn sie sind es gewöhnt, Zeit tot schlagen zu müssen und so unterscheidet sich ihr Verhalten kaum von dem, das sie an den übrigen Tagen des Jahres zeigen. Sie starren mit leerem Blick auf ihr Handy oder verschränken kopfschüttelnd die Arme. Vereinzelt sieht man noch einen Crystalabhängigen, der empört vor der Anzeigetafel die lakonische Laufschrift „Zug fällt aus“ hinter seiner Verbindung liest, mit dem Fuß aufstampft und im Stechschritt zum Fahrkartenautomaten, zurück zur Anzeigetafel und schließlich nach draußen läuft, während er mit nasaler Stimme in sein Handy ruft: „Was soll ich’n jetzt machen? Jetzt bin ich im Arsch, solche Wichser!“ Read More

Walters wilde Wiese

Oder: Was wir von Odysseus lernen können

Walter und Inge Jens waren vielleicht nicht so ein cooles Paar wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Aber scheiße, französische Existenzialisten, die für die freie Liebe sind und bei Studentenprotesten reden auf Autodächern halten – da kann man sowieso nicht mithalten. Ich mein, Sartre galt als sexy. Hat den schon mal jemand gesehen? Gegen diesen glupschäugigen Großneffen Albert Schweizers ist selbst Jürgen Klopp noch ein Adonis.

ingeundwalter

Womit wir wieder bei Familie Jens wären. Die waren nämlich Philologen. In Tübingen. Schwerpunkt griechische Mythologie. Klingt nach Strickpullunder. Ist aber trotzdem sexy, finde ich, denn wie die beiden zusammen aufgetreten sind, das hatte was. Sie haben zusammen Bücher geschrieben und waren dennoch unabhängige Denker, die oft gestritten haben. Weil sie sich gern argumentativ am anderen abgerieben haben, um aus dem Basalt zweier Ideen schließlich eine geschliffene Idee herauszuarbeiten.

Nun könnte man sich vorstellen, dass Walter und Inge Jens die Art von Paar sind, die sich sonst nicht viel zu sagen gehabt haben. Blindes Einverständnis, ein Herz und eine Seele, der Deckel zum Topf, er holt die Zeitung, sie die Pantoffeln. Die Art von Beziehung, von der viele träumen, bis sie merken, dass sie mitten drin stecken und sich zu Tode langweilen und dann  mit Nordic Walking anfangen.

Aber gestern habe ich in Walter Jens‘ Kurzgeschichte „Testament des Odysseus“ gelesen, wie dieser antike Irrfahrer seine Ehe mit Penelope wie folgt beschreibt: „Wir kannte keine Geheimnisse. Wir waren Freunde, die sich achteten und einander vertrauten, aber wir hüteten uns, den Abstand zwischen uns zu verringern. Wir wurden Verbündete, aber wir waren niemals ein Paar. Wir wußten, dass wir beide, um leben zu können, die Fremdheit des Ungewohnten brauchten.“

Das ist es doch, oder?! Die Fremdheit des Ungewohnten. Wenn das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist, gibt es drei Handlungsoptionen: Nicht mehr auf die andere Seite gucken, um sich nicht zu ärgern. Oder: Das Grün auf der anderen Seite als Blau bezeichnen und sich aus der Realität verabschieden. Oder: Man springt immer mal auf die andere Seite und freut sich wieder auf das alte Grün.

Mehr:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/inge-jens-ueber-walter-jens-er-ist-nicht-mehr-mein-mann-1.277242

Sauerbraten und Zitronen oder: Wie Robert Kummer zum ersten Mal aus einer Disko flog

„Gibts hier ein Problem?“

Immer wenn ich durch ein Feld laufe, muss ich an Werner denken, den Motorradfreak aus dem Brösel-Comic, und seinen herrlich unschuldigen Anarchismus: „Wir trampeln durchs Getreide, wir trampeln durch die Saat, hurra wir verblöden, für uns bezahlt der Staat!“ Vielleicht ist er gar kein Anarchist, wahrscheinlich schlagen die Soziologen jetzt die Hände über dem Kopf zusammen, ist aber auch egal. Ich laufe jedenfalls gerade durch ein Feld. Ich glaube, die kleinen grünen Stängel sollen mal Mais werden. Ich werde dabei zwar auch nicht klüger, aber ich mache es nicht zum Zeitvertreib, sondern weil ich zu einem Rallyewagen laufe, der sich beim Sprung über eine Kuppe verschätzt hat und geradeaus durch die Kurve in eben jenes Feldes gesegelt ist, auf dem wahrscheinlich Mais wächst. Der Wagen sieht ziemlich demoliert aus, Fahrer und Co-Pilot sitzen in ihren bunten Overalls daneben auf dem Erdboden. Der Fahrer schreibt gerade SMS. Vielleicht postet er auch auf seinem Facebook-Profil, dass er eben in Führung liegend leider 😦 ausgeschieden ist. Außer dem Röhren des nächsten Rennwagens ist nur das saftige Klatschen der kleinen Pflanzen an meinen Hosenbeinen zu hören, sie durchnässen den Jeansstoff und hinterlassen rötlichbraune Dreckspuren darauf. Es riecht nach Regen. In kleinen grünen Wellen wogt die Landschaft im Wind. Ich hätte Lust noch ewig so weiter zu laufen, irgendwann in einer kleinen hässlichen Dorfpension anzukommen, die „Weißes Ross“ oder „Goldener Löwe“ oder so heißt und einen Sauerbraten zu essen, Bier zu trinken und dann vielleicht bei offenem Fenster die Nacht in mein Zimmer drängen zu hören, während der Kleiderschrank nach Motten riecht und die Wirtin sich fragt, warum ich kein Gepäck habe außer einem Schreibblock und einer Kamera.

Ich müsste ihr antworten, dass ich Reporter bin und für die Zeitung über die Rallye schreibe und deshalb eben gerade durch ein Feld laufe, um zwei Rallye-Piloten zu fragen, warum sie es verkackt haben und wie sie sich jetzt fühlen. Mit den wahnsinnig originellen O-Tönen im Block fahre ich zurück ins Pressezentrum des Rallye-Veranstalters, besorge mir die Ergebnisse und wärme mich mit einem Kaffee auf. Fünf Fotografen sitzen hinter mir und schreien sich gegenseitig ihre Abenteuer zu. Ich wechsel in ein Pub über und schreib meinen Artikel runter. Als ich fertig bin, bin ich bereits in erhöhter Bierlaune. Zeit für einen Ortswechsel. Auf meinem Heimweg liegt eine kleine Diskothek, ich war schon ewig nicht mehr da, denn es ist eigentlich ein scheiß Laden. Aber ich habe Lust noch was zu trinken und Diskotheken haben den Vorteil, dass man die unvermeidlichen besoffenen Monologeten besser los wird als in einer Kneipe. Ich meine die Typen, die allein an der Bar sitzen und dich solang anglotzen bis du irgendwann hinschaust. Und dann ist man fällig. Sie hören einfach nicht auf zu reden. Scheißegal, ob man sich über sie lustig macht oder versucht dem Gespräch ein Tränchen Würde unterzumischen, in dem man versucht über irgendein bestimmtes Thema zu reden, und wenn es nur Fußball oder Deep Purple ist. Es ist auch egal ob man etwas sagt oder ob man gar nichts sagt. Der andere hört einfach nicht auf, seine Götterdämmerung in Schwällen wirrer Thesen über dich herabrieseln zu lassen wie Asbeststaub.

Einmal kam ein Ukrainer auf mich zu, ein Koloss, er sah aus als könnte er einhändig Traktoren stemmen oder mit bloßen Armen ganze Kartoffeläcker pflügen. Er trug eine Sporttasche über der Schulter, die sich an ihm so winzig ausnahm wie die Handtasche einer Kolibridame. Er setzte sich neben mich und sagte: „Weißt du, mir geht es gerade scheiße. Meine Frau hat mich rausgeschmissen und ich habe mich mit meiner Mutter gestritten. Ich will mich einfach ein bisschen unterhalten“. Das ist völlig in Ordnung. Ich hör gern zu. Es wurde noch ein lustiger Abend, er hat mir erzählt wie sie früher in der Ukraine den ganzen Tag um Zigaretten gewürfelt haben und dass er dabei immer gewonnen hat. Aber das ist leider die Ausnahme. Die meisten Typen brabbeln einfach wirres Zeug vor sich hin. Und am liebsten gucken sie sich mich als Gesprächsopfer aus. Aber wie gesagt, in einer Diskothek sagt man dann einfach: „Ich muss mal pissen“ und kommt nicht wieder. Also tausche ich die feuchte Kurzjacke gegen ein Jackett, das noch auf der Rücksitzbank meines Autos lag und gehe in den Club. Der Türsteher sieht mir mit hochgezogenen Augenbrauen dabei zu, wie ich die schwere Türe aufziehe. An der Garderobe steht eine junge Brünette mit pinkfarbenen Strähnen. Sie verkauft mir eine Eintrittskarte. Ich stecke mein Wechselgeld ein und will reingehen als sie mir hinterherpiepst: „Äh, und deine Jacke?“

„Was ist denn mit meiner Jacke?“

„Die musst du eigentlich abgeben.“

„Das ist ein Jackett und ich würde es ganz gern anbehalten“, sage ich und gehe rein. Sie blickt hilfesuchend zum Türsteher, der aber gerade mit seiner Gürteltasche beschäftigt ist. Er schaufelt mit seinen Wurstfingern sein I-Phone in die Tasche, was ein bisschen so aussieht als würde er sich gerade am Sack kratzen. Die Hingabe, mit der er in dem Bodybuilder-Handtäschchen rumkramt, deutet darauf hin, dass er sich wirklich dabei an der Nudel spielt. Ich verschwinde also schnell im kleineren der beiden Räume und bestelle an der Bar einen Whiskey-Soda. Die Bedienung greift zu einem Glas, befüllt es mit geübten Bewegungen mit Eis und Whiskey und fängt dann an, etwas ratlos durch die Glastüren der Kühlschränke die Flaschen abzuscannen. „Ich hab gar kein Soda“, sagt sie. Ich zeige auf die Wasserflasche vor ihr und sage: „Soda ist Mineralwasser“. Sie guckt etwas säuerlich, ein bisschen so als hätte sie gerade gemerkt, dass am anderen Ende der Bar ein Mädchen steht, dass das gleiche H&M-Oberteil trägt. Dann macht sie das Glas randvoll mit Wasser. Ich nehme mir vor, ihr erst beim nächsten Mal zu sagen, dass ein kleineres Glas und die Hälfte Wasser es auch getan hätten und bitte sie um eine Scheibe Zitrone. „Hab ich nicht“, sagt sie. Eine harmlose Antwort, die schon sehr bald unangenehme Folgen haben soll für mich.

Ich stelle mich mit meiner Whiskey-Schorle an der anderen Bar an, um den Barkeeper um eine Scheibe Zitrone zu bitten. „Wieso?“, sagt er.

„Weil in einen Whiskey-Soda eine Scheibe Zitrone gehört und deine Kollegin an der anderen Bar keine hatte.“

„Soda ham wir doch gar nicht“

„Doch habt ihr, sonst würde ich ja jetzt keinen Whiskey-Soda in der Hand halten. Soda ist einfach nur Mineralwasser“

„Aha“

„Also könnte ich eine Scheibe Zitrone haben?“

„Nee, die sind abgezählt“

„Soll das ein Scherz sein? Sind die Zitronen hier so teuer oder was? Importiert ihr die selber aus Sizilien. Oder soll ich für die Scheibe extra bezahlen?“

„Du bist wohl ein ganz Kluger, was? Mach hier mal keinen Aufstand, andere Leute wollen auch noch was bestellen.“

Während der Barkeeper mit verschränkten Armen, auf denen in Frakturschrift „La vida loca“ tätowiert ist, genervt den Raum nach anderen Leuten absucht, die auch etwas bestellen wollen, fragt ihn jemand, der ziemlich dicht hinter mir stehen muss: „Gibts hier ein Problem?“

Der Barkeeper deutet mit einem Augenrollen auf mich.

„Nein, hier gibt’s kein Problem. Ich wollte bloß eine Scheibe Zitrone haben, weil es an der anderen Bar keine gibt. Ich wusste ja nicht, dass die Zitronen bei euch so rar sind.“

„Warum hast du eigentlich noch deine Jacke an?“

„Also, das kann doch nicht euer ernst sein. Was ist denn verdammt nochmal verkehrt mit meiner Jacke?“

„Wir haben ein generelles Jackenverbot. Das gilt auch für dich.“

„Das ist ein Jackett. Keine Bomberjacke, kein Mantel. Das musste ich noch nie irgendwo ausziehen, die Regelung habt ihr exklusiv, das ist doch Schwachsinn“

„Gibts hier ein Problem?“ Ein zweiter Türsteher, der mit der Sacktasche, hat die bevorstehende Eskalation der Situation antizipiert und steht dicht hinter mir. Der erste Türsteher deutet mit einem Augenrollen auf mich und verschränkt die Arme. Er hat schwarze Lederhandschuhe an.

„Oh Gott, ja, es gibt ein Problem. Riesenproblem sogar. Es gibt keine Zitrone und ich will mein Jackett nicht ausziehen.“

„Wie viel haben wir denn schon getrunken? Wie siehst du denn überhaupt aus?“ Der Sacktaschenmann deutet auf meine Hose, die bis zum Knie mit rötlichbrauner Erde besprenkelt ist. Die Stiefel sind auch angeschlammt.

„Willst du jetzt behaupten ich bin betrunken, oder was?“

„Ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst“

„Was? Warum denn? Ich bin noch nicht mal zehn Minuten hier. Ich hab Eintritt bezahlt und ich hab für diesen beschissenen Whiskey-Soda bezahlt. Den trinke ich aus und dann gehe ich von ganz alleine. Ihr seid doch nicht ganz dicht“

Die Situation ist nicht mehr zu retten. Der Drink auch nicht. Die beiden ochsenköpfigen Türsteher mit den Fallschirmjäger-Frisuren packen mich am Arm und eskortieren mich nach draußen. Wo es

sehr ruhig ist. So ruhig, dass man die Grillen zirpen hören kann. Mit 27 also mein erster Rauswurf aus einer Disko. Ich bekomme Appetit auf Sauerbraten.

Wer ist eigentlich Kai Pflaume oder: eine Nacht in Perugia

Es begann mit einer Albernheit. Einem dieser trunkenen Bekenntnisse, die einem, einmal wieder nüchtern, unangenehm in den Ohren klingeln in ihrer Gesagtheit. Zwar wahr, aber war es nötig das zu erzählen? Jedenfalls: Claudia, die Österreicherin, steht auf David, den Holländer. Und weiß nicht, was er davon hält. Wie sie das denn herausfinden könne?, fragt sie auf dem Weg von ihrer eigenen Geburtstagsparty zum letzten noch geöffneten Club in das schwankende Rund der übrig gebliebenen Begleiterschaft. Die delikate Frage erweckt die Geister der Betäubten und wird bald in aller gebotenen Ernsthaftigkeit mit Vorschlägen und Episoden des eigenen Erfahrungsschatzes zu beantworten versucht.
Als sich jedoch sobald keine adäquate Lösung herauszukristallisieren vermag, gebe ich zu bedenken, der Sache sei nur mit Pragmatismus beizukommen. Sprich: ein Treffen muss arrangiert werden, in ungezwungener Atmosphäre, ein Anlass, der keinen Verdacht erweckt, konstruiert und gleichzeitig die gute Zugänglichkeit zu alkoholischen Getränken gewährleistet werden.
Claudias Anruf am (sehr) späten Donnerstagmorgen lässt vermuten, dass ihr gerade mächtig die Ohren klingeln. Aber zu spät: Ich mache eine Party am Freitag (der Beschluss ist längst nicht mehr aufhebbar), zu der ich David einlade und Claudia wird „zufällig“ auch da sein. Die ersten Gäste sind am Vorabend bereits rekrutiert worden, berichte ich ihr, und die Elite der Geburtstagsgäste von Gestern ist zu einem Klüngel von Komplizen herangewachsen, der wohlwollend die Statistenrolle übernehmen wird. Ana, die Spanierin, mit ihrem Freund Alberto, Anna, die Schwedin und Franziska, Bertolt und Antonia aus Deutschland. Abgemacht!
Ich muss nur noch ein paar Leute einladen, wen ich halt so treffe, damit der Kreis nicht zu intim wird und ein Rückzug in aller Unauffälligkeit möglich sein kann. Abends bin ich bei Mario zu einer Party eingeladen, und er, Felix, Angela, Anne und Maria erklären sich selbstloserweise umgehend bereit, zu kommen. Auf dem Weg zu Mario hatte ich David schon getroffen – wie perfekt, eine zufällige Begegnung mit beiläufiger Einladung – in Begleitung von Silvia, die einzuladen ich sowieso nicht umhin gekommen wäre, da sie mir schon zwei mal ein Bier ausgegeben hatte und immer in unendlicher Geduld meinem italienischen Gestammel die Form eines Gespräches gibt, das sich dann allerdings stets – dies Opfer muss ich wiederum bringen – in Kommunismustheorien verrennt. Damit ist meine Einladungsliste erstmal abgehakt. Natürlich darf auch noch Nike kommen, eine griechische Freundin von Maria, die übers Wochenende zu Besuch kommt.
Freitagvormittag laufe ich den Corso Garibaldi hoch und sehe Halvard, den Norweger, mit seiner Mitbewohnerin. Ich habe ihn erst einmal getroffen, fühle mich also keinesfalls verpflichtet ihn einzuladen, aber da ich mir im Gegenzug die Teilnahme an seinem allsamstäglich veranstalteten sagenumwobenen Barbecue erhoffe, ist auch er dabei, inklusive Mitbewohnerin, versteht sich. Aber nur wenn sie ihre Gitarre zu Hause lässt.
Meine beiden libyschen Mitbewohner Omar und Mammo begegnen dem Vorschlag, wir könnten doch heute eine Party machen mit dem gewohnt nonchalanten Einverständnis. Während es jedoch äußerlich so wirkt, als würden sie sich höchstens darauf gefasst machen, im Falle zu großen Trubels einfach samt PlayStation und Plasmabildschirm ins Hotel zu ziehen, ist seltsamerweise schon kurz nach meiner beiläufigen Bekanntmachung das Bad für die nächsten 4 Stunden ununterbrochen besetzt. Die voraussichtliche Anwesenheit der Bilderbuchschwedin Anna und die Erinnerung der Beiden an den Frauenüberschuss der letzten Party im Hause scheinen mir jedenfalls die wahrscheinlichsten Motive für die fahrlässige Tötung des Fönes zu sein.
Mammo erachtete es als eine Frage des Anstandes auch die beiden Italienerinnen einzuladen, die unter uns wohnen, und Izmail, der 20 Minuten nach Mammos Anruf stark parfümiert vor unserem Haus aus dem Taxi steigt.
Zunächst läuft alles nach Plan. David kommt als Erster, pünktlich um acht, kurz darauf Claudia mit dem spanischen Pärchen, dass ich unter dem Vorwand keine Petersilie mehr zu haben direkt wieder wegschicke…Augenzwinkern…lasst euch Zeit! Alle andern sind ja erst für um neun eingeladen…Da ich dringlich in der Küche benötigt bin, finden sich die beiden prompt allein in meinem Zimmer wieder, beobachtet nur vom Kerzenschein. Nicht ohne Stolz verfolge ich noch kurz den Beginn eines unverfänglichen Gesprächs über ein Bild von Hieronymus Bosch. Jeder, der mein Zimmer betritt, fragt mich zuerst, ob ich denn wisse, aus welchem Jahr dieses faszinierende Gemälde stamme, dessen Repro ich aus der Küche gerettet habe, wo es, teilweise von Fotos des Mercedes SLK AMG von Omar verdeckt, neben der Spüle hing. Natürlich weiß ich es, verweise David aber auf die anwesende Studentin der Kunstgeschichte Claudia und in Gedanken stelle ich mir bereits vor, wie sie in ein paar Jahren die Anekdote ihres Kennenlernens zum Besten geben: „…und dann hat sie mir so wunderbar, so klug als hätte sie sich darauf vorbereitet, von diesem niederländischen Maler erzählt, den ich selbst nicht mal kannte…“
Nach und nach kommen auch alle anderen und der Feiertag in Italien wirkt sich exponentiell auf die Anzahl der Besucher aus. Die Suppe, die ich als Zwischenmahlzeit für den fortgeschrittenen Abend angedacht hatte, erfreut sich bereits größter Beliebtheit, zumindest bei dem Bruchteil der Besucher für den sie reicht. Andere Probleme lösen sich hingegen von ganz allein. Das Fehlen von Stühlen etwa ist inzwischen obsolet, da sowieso kein Platz mehr zum Sitzen ist. Die 50 Plastikbecher (wir haben nur drei Gläser) erweisen sich hingegen schon bald als zu wenige.
Da ich auf meinen eigenen Partys standesgemäß immer am betrunkensten bin, ist es weniger ein Klingeln in den Ohren als viel mehr ein Presslufthammer zwischen denselben, der mir den Anruf am nächsten Morgenmittag erschwert, mit dem ich mich bei Claudia nach dem Erfolg der Mission erkundigen will. Seltsamerweise ertönt gleichzeitig mit dem Freizeichen aus meinem Hörer ein Klingeln ganz in der Nähe, dem ich, über leere Weinflaschen stolpernd, bis zur verschlossenen Tür zum Nebenzimmer folge, das meine Mitbewohner normalerweise nur als Ankleide-, Arbeits- und Gebetsraum nutzen. Ach so, ein Gästebett steht da auch noch.

Perugia, Sommer 2008

Von Übergangsjacken, Zirkusbesuchen, emanzipierten Frauen und was einem sonst noch so im Alltag passiert


April 2010 erschien Martin „Gotti“ Gottschilds erstes Buch „Der Schatz im Silberblick“, das ihm direkt prominente Vergleiche mit Autoren wie Florian Illies und Max Goldt einbrachte („taz“ und „intro“). Am 5. Mai startet Gottschild eine Lesetour in Chemnitz, wobei man es eigentlich umgekehrt beschreiben müsste, denn es ist weniger die Lesetour zum Buch, als das Buch zur Lesetour. Mit dem Programm „Tiere streicheln Menschen“ hat sich Gottschild gemeinsam mit seinem Partner Sven van Thom bereits einen Namen gemacht: Die „Action- Lesungen“ im Berliner Roten Salon sind berühmt-berüchtigt, eine Mischung aus aberwitzigen Kurzgeschichten, fiktiven Diavorträgen und musikalischen Einlagen von Sven van Thom. Für die „Freie Presse“ sprach Christian Gesellmann mit dem 33-jährigen Autor aus Berlin.

Was erwartet den Besucher bei deiner Actio-Lesung?
Martin Gottschild: Na, im Wesentlichen erzähle ich Geschichten, oft mit tagesaktuellem Bezug, aber auch über die Liebe. Oder Übergangsjacken, Zirkusbesuche oder emanzipierte Frauen, alles was einem so im Alltag begegnet. Und zwischendurch macht Sven van Thom Musik. Und es gibt auch regelmäßig Pausen zum Rauchen und Trinken, das ist ja auch immer wichtig.

Wenn wir gerad bei tagesaktuellen Themen sind: Darf man sich über den Tod von Osama bin Laden freuen?
Martin Gottschild: Kommt auf die Erziehung an! Naja, ich finde es ja generell sehr eigenartig, worauf die Leute so abgehen. Ich hätte die Freude vielleicht noch verstanden, wenn das ein halbes Jahr nach den Anschlägen gewesen wär, dann hätte ich das noch eher nachvollziehen können, aber so finde ich das ziemlich schäbig und traurig ehrlich gesagt. Also nicht das er jetzt gestorben ist, sondern diese Party-Stimmung.

Stimmt es, dass du mal DDR-Meister im Bogenschießen warst?
Martin Gottschild: Ja, da war ich so zwölf, dreizehn. Aber dann hab ich noch die Kurve gekriegt und hab Abi gemacht wie sich das gehört, und wollte dann aber nicht studieren, weil ich Schule schon so unglaublich anstrengend fand und hab dann erst mal eine Lehre als Einzelhandelskaufmann bei einem Musikalienhändler gemacht. Seitdem hab ich eigentlich nie mehr so richtig einen Job gehabt, hab einfach ganz viel Musik gemacht. Inzwischen komme ich auch ganz gut über die Runden mit Musik und Lesungen – ich meine, ich hab auch bescheidene Ansprüche, das möchte dazu sagen, aber momentan kann davon leben. Gut, vor drei Jahren, als ich allerdings noch nichts von der Verschrottungsprämie wusste, hab ich mein Auto verschrotten lassen, und seitdem bin ich finanziell praktisch aufgeblüht. Und so lang es keine Autos mit vernünftiger Stoßstange gibt, werde ich mir auch keins mehr holen.

Warum, bist du so ein schlechter Autofahrer?
Nee, das geht. Also, ich hatte auch schon mal ein paar Unfälle aber alles eher bescheiden – nur das macht‘s ja umso ärgerlicher, dass man wegen einer Sache, die in einer Sekunde passiert, sich zwei, drei Stunden seines Lebens aus dem Knie leiern muss und zur Werkstatt fahren und so, alles nur weil da ein Kratzer an der Stoßstange ist, das finde ich irgendwie anstrengend.

Dein erster Erfolg war dann „Liebficken“ mit der Band Sofaplanet, auch schon zusammen mit Sven van Thom…
Martin Gottschild: Ja, wir kennen uns wohl jetzt schon so 15 Jahre. Sven wurde übrigens früher der Glöckner von Stolzenhagen genannt. Am Anfang waren wir eigentlich eher Konkurrenten, weil wir jeweils mit unseren eigenen Bands auf den Festivals unterwegs waren. Aber mittlerweile kann man wohl sagen, wir sind befreundet.

Tiere streicheln Menschen war schon zu Gast bei MTV HOME, Quatsch Comedy Club, Nightwash, KEN FM, im Roten Salon der Volksbühne Berlin, bei den Surfpoeten, Thüringer Satiretheater, Schaubühne Berlin, Admiralspalast, Poetengeflüster Dresden, LSD, Chaussee der Enthusiasten, FRITZ- Nacht der Talente, und jeden zweiten Freitag zwischen 16 und 18 Uhr auf 100,6 MOTOR FM! („Thank Gotti it´s Friday!“- die Drei-Minuten-Lesung).

http://tierestreichelnmenschen.de