Fortsetzung: Das Durchfallschneewittchen (2.Akt)

2.Akt

Lou hatte damals einen riesengroßen, 15 Jahre alten Opel Omega Kombi, den er sich eigentlich gar nicht leisten konnte und der dauernd kaputt war (Fußnote: hässlich auch noch). Deshalb suchte er oft über mitfahrgelegenheit.de zahlende Reisebegleiter und einmal rief eben zufällig ich bei ihm an. Zufällig, weil ich weder wusste, dass er in meiner Stadt war, noch dass er ein Auto hatte. Für die Strecke Jena – Berlin verbrauchte er sagenhafte 30 Liter Benzin -, aber es machte ihm scheinbar Spaß, mit Susi ein bisschen Familie zu spielen: ein Wochenendausflug im Familienauto. Na ja, was soll ich sagen: ich kannte ihn nur flüchtig – er war ein Freund meines Bruders Pit – aber ich hielt ihn immer für ganz lässig und seine Freundin kannte ich noch gar nicht. Es gab also keinen Grund, sich nicht auf eine entspannte Fahrt zu freuen.
Lou hatte Vorbereitungen getroffen, als würden sie 3 Wochen durch die Arktis tuckeln. Als ich zum Parkplatz kam, war er gerade dabei, Scheiben und Scheinwerfer noch mal sauber zu machen, dabei ließ er den Motor laufen, damit es schön warm ist drinnen. Dann füllte er den CD-Wechsler im Kofferraum mit „Reisemusik“, wie er das nannte. Dazu muss gesagt werden, dass er tendenziell keinen schlechten Musikgeschmack hatte – weshalb ich ihm für die folgenden drei Stunden Folterpop vorsätzliches, wenn nicht gar böswilliges Handeln unterstellen muss! Das Navigationssystem war programmiert, die Staumeldungen im Radio abgehört, er steckte zwei Thermobecher mit Kaffee in die Getränkehalterungen der Mittelkonsole und zwei Tupper-Dosen in das Handschuhfach. Anschließend schloss er die Freisprecheinrichtung für sein Telefon an das Radio an und setzte sich ans Steuer, um die Rück- und Seitenspiegel zu überprüfen.
„Hast du auch getankt?“, fragte ich ihn; er antwortete: „Susi kommt gleich! Sie ist nur noch schnell was einkaufen.“ Die vierte Mitfahrerin war noch nicht da und ihr Handy ausgeschaltet, das machte ihn sichtlich nervös. Ich wies ihn darauf hin, dass das extensive Abhören ihrer Mailbox die Wahrscheinlichkeit ihres Erscheinens scheinbar nicht erhöht, aber auch für Wortspiele hatte er kein Ohr. Also schnappte ich mir die Zeitung, setzte mich ins Auto und harrte der Dinge.
Irgendwann waren wir – zu dritt – „zum Glück“ unterwegs. Lou und Susi waren bestens gelaunt und schienen sich wirklich auf das Wochenende in Berlin zu freuen. Sie benahmen sich wie ein (glückliches) altes Ehepaar:
was hast du denn leckeres für heut abend eingekauft schatz geht’s dir schon wieder besser willst du ein stück ananas mein hase ich hab den rest von gestern mitgenommen ist im handschuhfach oder wenn du das noch nicht so verträgst ich hab auch noch ein weißbrot gekauft ich hab deinen laptop auf die rückbank getan falls du auf der fahrt einen film schauen willst hab extra den akku noch mal voll geladen hab dir der teufel trägt prada gezogen lieben gruß von meiner mutter soll ich dir ausrichten hab vorhin mit ihr telefoniert und sie meint du sollst mal immodium akut probieren das würde ihr auch immer helfen jedenfalls wenn was ist ich hab für alle fälle ne rolle klopapier mit dein handy hab ich dir in die handtasche getan du hast es bei thorsten auf dem küchentisch liegen gelassen robert gib doch mal bitte die decke nach vorn (!)
„WAS?“ Durch eine zentimeterdicke Schicht Schmalz durchdrang mein Vorname wunde Gehörgänge.
„Robert, gib Susi doch bitte mal die grüne Decke da neben dir!“
„Da ist keine grüne Decke.“
„Klar, da muss eine sein, ich hab sie extra nach vorn gelegt, damit Susi noch ein bisschen pennen kann während der Fahrt. Sie kränkelt nämlich noch etwas. Magen-Darm-Infektion.“
„Schön (wirklich schön!), aber hier ist KEINE Decke!“
„Ach, scheiße!“
Dann meldete sich Susi, deren Beiträge sich bis dahin auf ein mementomorimäßiges Schnurren und so eine Art nasales Stöhnen beschränkten. Pathetischer als Highlander sagte sie:
„Ist doch nicht so schlimm! Die zwei Stunden wird’s schon noch gehen.“
Am nächsten Rastplatz hatte ich dann Gelegenheit mein Frühstück nachzuholen, während Lou Susi in die grüne Decke einwickelte, ihr die Schuhe auszog, ihre Füßchen in Wollsocken steckte und ihr den Laptop auf den Schoß legte. Bei all dem achtete er penibel darauf, dass auf keinen Fall die bösekalte Oktoberluft ins Wageninnere gelingen konnte. Er schlüpfte wie ein Aal aus seiner Tür und klemmte sich fast die Finger bei dem Versuch ein, aus dem halbgeöffneten Kofferraum die Decke zu ziehen.
Susis Zustand schien dann auch tatsächlich stabiler zu werden. Jedenfalls begann sie irgendwann ganz massiv an Lous rechtem Oberschenkel rumzureiben. Der reagierte mit Tunnelblick und einem leichten Schwitzen, das stärker wurde, als sie begann mit Zeigefinger und Daumen den Kord um seine Eier wie Gitarrensaiten zu behandeln. Nicht, dass ich dem besonders viel Aufmerksamkeit hätte schenken wollen, aber Lous Fahrtüchtigkeit schien marginal darunter zu leiden. Und – ich geb zu es ist meine weiche Seite –, aber ungeplante Spurwechsel bei 170 machen mich nervös. Scheinbar wollte sie ihn aber nur etwas „necken“, jedenfalls legte sie die Füße wieder auf’s Armaturenbrett und schaute den Film weiter.
Genauer gesagt schaute sie abwechselnd mich (durch den Seitenspiegel, in dessen Winkel ich nun genau saß) und den Film an. Noch genauer gesagt lief auch nicht mehr „Der Teufel trägt Prada“ auf ihrem Laptop, sondern eher so was wie „Das Biest trägt nada.“ Mir lief es kalt den Rücken runter. Sie wickelte eine Strähne ihrer Locken immer und immer wieder um den Zeigefinger. Lou schwitzte weiter. Sie zog den Stecker der Kopfhörer ab, wodurch das Gestöhne eine unangenehme Lautstärke (hörbar) erreichte. Lou drehte die Musik lauter. Ich baute aus meiner Zeitung demonstrativ eine Wand und raschelte dabei so lang, bis sie endlich beleidigt aufgab und sich wieder auf ihren Darm konzentrierte.
Relativ ereignislos erreichten wir dann Berlin und Lou fragte:
„Wo sollen wir dich denn absetzen?“
„Keine Ahnung. Wo wollt ihr denn hin?“
„Na nach Schöneberg, zu deinem Brud!“
(##F**SHIT+!!) „Is ja lustig, hat er mir gar nicht erzählt, hähä, dass er Besuch bekommt!“
„Überraschungsbesuch! Hab ihn heut morgen angerufen!“
„Na, da wird er sich freuen.“
„Also, wo willst du raus?“
„Och, am Alex is OK!“

Fortsetzung folgt…