Wer ist eigentlich Kai Pflaume oder: eine Nacht in Perugia

Es begann mit einer Albernheit. Einem dieser trunkenen Bekenntnisse, die einem, einmal wieder nüchtern, unangenehm in den Ohren klingeln in ihrer Gesagtheit. Zwar wahr, aber war es nötig das zu erzählen? Jedenfalls: Claudia, die Österreicherin, steht auf David, den Holländer. Und weiß nicht, was er davon hält. Wie sie das denn herausfinden könne?, fragt sie auf dem Weg von ihrer eigenen Geburtstagsparty zum letzten noch geöffneten Club in das schwankende Rund der übrig gebliebenen Begleiterschaft. Die delikate Frage erweckt die Geister der Betäubten und wird bald in aller gebotenen Ernsthaftigkeit mit Vorschlägen und Episoden des eigenen Erfahrungsschatzes zu beantworten versucht.
Als sich jedoch sobald keine adäquate Lösung herauszukristallisieren vermag, gebe ich zu bedenken, der Sache sei nur mit Pragmatismus beizukommen. Sprich: ein Treffen muss arrangiert werden, in ungezwungener Atmosphäre, ein Anlass, der keinen Verdacht erweckt, konstruiert und gleichzeitig die gute Zugänglichkeit zu alkoholischen Getränken gewährleistet werden.
Claudias Anruf am (sehr) späten Donnerstagmorgen lässt vermuten, dass ihr gerade mächtig die Ohren klingeln. Aber zu spät: Ich mache eine Party am Freitag (der Beschluss ist längst nicht mehr aufhebbar), zu der ich David einlade und Claudia wird „zufällig“ auch da sein. Die ersten Gäste sind am Vorabend bereits rekrutiert worden, berichte ich ihr, und die Elite der Geburtstagsgäste von Gestern ist zu einem Klüngel von Komplizen herangewachsen, der wohlwollend die Statistenrolle übernehmen wird. Ana, die Spanierin, mit ihrem Freund Alberto, Anna, die Schwedin und Franziska, Bertolt und Antonia aus Deutschland. Abgemacht!
Ich muss nur noch ein paar Leute einladen, wen ich halt so treffe, damit der Kreis nicht zu intim wird und ein Rückzug in aller Unauffälligkeit möglich sein kann. Abends bin ich bei Mario zu einer Party eingeladen, und er, Felix, Angela, Anne und Maria erklären sich selbstloserweise umgehend bereit, zu kommen. Auf dem Weg zu Mario hatte ich David schon getroffen – wie perfekt, eine zufällige Begegnung mit beiläufiger Einladung – in Begleitung von Silvia, die einzuladen ich sowieso nicht umhin gekommen wäre, da sie mir schon zwei mal ein Bier ausgegeben hatte und immer in unendlicher Geduld meinem italienischen Gestammel die Form eines Gespräches gibt, das sich dann allerdings stets – dies Opfer muss ich wiederum bringen – in Kommunismustheorien verrennt. Damit ist meine Einladungsliste erstmal abgehakt. Natürlich darf auch noch Nike kommen, eine griechische Freundin von Maria, die übers Wochenende zu Besuch kommt.
Freitagvormittag laufe ich den Corso Garibaldi hoch und sehe Halvard, den Norweger, mit seiner Mitbewohnerin. Ich habe ihn erst einmal getroffen, fühle mich also keinesfalls verpflichtet ihn einzuladen, aber da ich mir im Gegenzug die Teilnahme an seinem allsamstäglich veranstalteten sagenumwobenen Barbecue erhoffe, ist auch er dabei, inklusive Mitbewohnerin, versteht sich. Aber nur wenn sie ihre Gitarre zu Hause lässt.
Meine beiden libyschen Mitbewohner Omar und Mammo begegnen dem Vorschlag, wir könnten doch heute eine Party machen mit dem gewohnt nonchalanten Einverständnis. Während es jedoch äußerlich so wirkt, als würden sie sich höchstens darauf gefasst machen, im Falle zu großen Trubels einfach samt PlayStation und Plasmabildschirm ins Hotel zu ziehen, ist seltsamerweise schon kurz nach meiner beiläufigen Bekanntmachung das Bad für die nächsten 4 Stunden ununterbrochen besetzt. Die voraussichtliche Anwesenheit der Bilderbuchschwedin Anna und die Erinnerung der Beiden an den Frauenüberschuss der letzten Party im Hause scheinen mir jedenfalls die wahrscheinlichsten Motive für die fahrlässige Tötung des Fönes zu sein.
Mammo erachtete es als eine Frage des Anstandes auch die beiden Italienerinnen einzuladen, die unter uns wohnen, und Izmail, der 20 Minuten nach Mammos Anruf stark parfümiert vor unserem Haus aus dem Taxi steigt.
Zunächst läuft alles nach Plan. David kommt als Erster, pünktlich um acht, kurz darauf Claudia mit dem spanischen Pärchen, dass ich unter dem Vorwand keine Petersilie mehr zu haben direkt wieder wegschicke…Augenzwinkern…lasst euch Zeit! Alle andern sind ja erst für um neun eingeladen…Da ich dringlich in der Küche benötigt bin, finden sich die beiden prompt allein in meinem Zimmer wieder, beobachtet nur vom Kerzenschein. Nicht ohne Stolz verfolge ich noch kurz den Beginn eines unverfänglichen Gesprächs über ein Bild von Hieronymus Bosch. Jeder, der mein Zimmer betritt, fragt mich zuerst, ob ich denn wisse, aus welchem Jahr dieses faszinierende Gemälde stamme, dessen Repro ich aus der Küche gerettet habe, wo es, teilweise von Fotos des Mercedes SLK AMG von Omar verdeckt, neben der Spüle hing. Natürlich weiß ich es, verweise David aber auf die anwesende Studentin der Kunstgeschichte Claudia und in Gedanken stelle ich mir bereits vor, wie sie in ein paar Jahren die Anekdote ihres Kennenlernens zum Besten geben: „…und dann hat sie mir so wunderbar, so klug als hätte sie sich darauf vorbereitet, von diesem niederländischen Maler erzählt, den ich selbst nicht mal kannte…“
Nach und nach kommen auch alle anderen und der Feiertag in Italien wirkt sich exponentiell auf die Anzahl der Besucher aus. Die Suppe, die ich als Zwischenmahlzeit für den fortgeschrittenen Abend angedacht hatte, erfreut sich bereits größter Beliebtheit, zumindest bei dem Bruchteil der Besucher für den sie reicht. Andere Probleme lösen sich hingegen von ganz allein. Das Fehlen von Stühlen etwa ist inzwischen obsolet, da sowieso kein Platz mehr zum Sitzen ist. Die 50 Plastikbecher (wir haben nur drei Gläser) erweisen sich hingegen schon bald als zu wenige.
Da ich auf meinen eigenen Partys standesgemäß immer am betrunkensten bin, ist es weniger ein Klingeln in den Ohren als viel mehr ein Presslufthammer zwischen denselben, der mir den Anruf am nächsten Morgenmittag erschwert, mit dem ich mich bei Claudia nach dem Erfolg der Mission erkundigen will. Seltsamerweise ertönt gleichzeitig mit dem Freizeichen aus meinem Hörer ein Klingeln ganz in der Nähe, dem ich, über leere Weinflaschen stolpernd, bis zur verschlossenen Tür zum Nebenzimmer folge, das meine Mitbewohner normalerweise nur als Ankleide-, Arbeits- und Gebetsraum nutzen. Ach so, ein Gästebett steht da auch noch.

Perugia, Sommer 2008