Briefe aus Prishtina

Teil 4: Die Brücke von Mitrovica

„Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“ So rülpste sich vor kurzem der ehemalige Finanzsenator von Berlin, Thilo Sarrazin, seinen privilegierten Frust von der Seele. Das Zitat mag verraten, wie es um die historischen Kenntnisse und das politische Feingefühl Sarrazins bestellt ist. Erhellendes über die komplizierte Geschichte des Kosovo erfahren wir dabei leider nicht (über die deutsche im Übrigen auch nicht). Der Satz könnte auch von Milosevic selbst stammen, so wunderbar fügt er sich in dessen nationalistische Argumentation, die auch heute noch die serbischen Lehrbücher zu Leichen der Vernunft macht. „Eine Aufklärung über die jüngste Geschichte des Balkan, mit ihren verheerenden Kriegen, findet nicht statt. Auch in der Schule wird – im besten Fall – nicht darüber geredet“, berichtet uns Dr. Christian Christ-Thilo, Projektleiter Westbalkan der Friedrich-Naumann-Stiftung, in Belgrad.
„Weder die Albaner noch die Serben setzen sich objektiv mit dem Konflikt auseinander. Beide sehen sich am liebsten als Opfer des Krieges und das Gefühl, benachteiligt worden zu sein verstärkt sich mit der Zeit. So schwelt der Konflikt weiter“, bestätigt Hanns-Christian Klasing aus dem Norden des Kosovo. Er ist Pressesprecher der EU-Mission EULEX in Mitrovica und hat den tiefen Graben zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen täglich vor Augen. Denn das 100 000 Einwohner zählende Mitrovica ist eine geteilte Stadt. Südlich des Flusses Ibar wohnen die etwa 80 000 Kosovoalbaner, während im Norden die ca. 20 000 Serben und Angehörige anderer Minderheiten leben. Zwei Brücken führen über den Fluss, doch sie werden kaum genutzt. Auf der gegenüberliegenden Seite spricht man eine andere Sprache, hat eine andere Religion, Währung, Flagge, Autokennzeichen, eigene Behörden. Einzig bei der Mafia spielt die ethnische Zugehörigkeit überhaupt keine Rolle. Da arbeiten Serben und Albaner prima zusammen.
Nur ein ehrlicher Umgang mit der Geschichte wird verhindern können, dass beide Volksgruppen sich irgendwann wieder bekämpfen, statt die gemeinsamen Probleme auch gemeinsam zu lösen. Aber für diese Erkenntnis muss man eigentlich nicht erst Senator werden.