Lebenslang Erasmus
Das Studierendenaustauschprogramm der Europäischen Union, das einst in Erinnerung an den großen Humanisten und Universalgelehrten Erasmus von Rotterdam begründet wurde, um Studenten durch finanzielle Hilfeleistungen und Partnerschaftsverträge zu ermutigen, einen Teil des Studiums im Ausland zu verbringen, firmiert zukünftig unter dem pathetischen Namen Life Long Learning Program.
Dennoch wird der Begriff Erasmus nicht so schnell in der bürokratischen Krypta, in der schon ein kleiner Zinnsarg für den Magister steht, verschwinden, denn über die Jahre ist er für viele studierende und studierte Menschen zum sagenumwobenen (manchmal auch märchenumrankten) Synonym für eine der spannendsten und erlebnisreichsten Episoden ihres Lebens geworden.
Man kann sich ein ganzes Studienjahr oder nur ein Semester der kulturellen Bewusstseinserweiterung stellen, bewerben muss man sich dafür ein Jahr im Voraus bei den jeweiligen Beauftragten der Institute. Dann folgt bereits die erste Gewissensprobe: das Learning Agreement, ein Formular, auf dem man die Studienfächer einträgt, die man zu belegen gedenkt. Theoretisch sollte man nämlich auch im Ausland seine 30 Credit Points pro Semester erschuften. Hier teilt sich das Regiment der Bewerber in drei Gruppen: diejenigen, die ernsthaft zu studieren beabsichtigen und es auch tun, diejenigen, die es zumindest versuchen wollen und dann und wann auch mal so tun als ob, und diejenigen, die von Anfang den zu erwartenden Arbeitseifer und die Urlaubsverlockung in einem Verhältnis abwägen, das ihnen ruhigen Gewissens gestattet, Textmarker und Ringblock zu Hause zu lassen.
Ob sich das Auslandssemester gelohnt hat oder nicht, ist sowieso sinnvoller daran abzulesen, wie gut man die Sprache des Landes letztlich zu verstehen und sprechen weiß, da in vielen Fällen, trotz des meisterhaft ausgetüftelten European Credit Transfer Systems, die errungenen Studienleistungen nicht in das heimische Modulkorsett integriert werden können.
Sicherlich verbessern wird sich bei den meisten das Englisch, das sich ganz natürlich als Verbindungssprache auf den Erasmusparties etabliert. Aber irgendwann nach der ersten Orientierungsphase sollte man sich überwinden und in der jeweilige Fremdsprache kommunizieren, auch wenn es zunächst Lasten des Gesprächsinhaltes geht. Es ist ganz gut möglich, den gesamten Auslandsaufenthalt innerhalb des Erasmusmikrokosmos zu verbringen, ohne je in engeren Kontakt mit Einheimischen zu treten. Das möchte ich nicht verurteilen, aber so beraubt man sich letztlich der Chance, die Mentalität und Geheimnisse des Landes wirklich zu verstehen.
Oft ist die große räumliche Distanz für die im Leben eines jungen Paares unsagbar lange Zeitspanne von 6-12 Monaten der Grund für Zerwürfnisse, Eifersüchteleien, Affären, Neid und Trennungen. Die Verlockungen, die sich im Umkreis kontaktsuchender, ihrer gewohnten Lebensverhältnissen entrissener und von der eigenen Vergangenheit befreiter junger Menschen ergeben, sind zahlreich, zumal sie oft von hippiesker Folgenlosigkeit umschwärmt zu sein scheinen. Auf jeden Fall lernt man sich auf dieser Reise selbst besser kennen.
Eine Liebe die besteht jedenfalls, kann sich ihres festen Fundamentes umso mehr erfreuen, sollte umgehend den Weg zum Altar finden und den sich bald einstellenden sonnigen Nachwuchs in endlosen Dia-Shows mit den 3500 Digitalschnappschüssen und dazugehörigen Anekdoten des Auslandssemesters behelligen, bis das erste Wort des Kindes garantiert Erasmus lautet, oder in Zukunft eben Life Long Learning Program. Sprachlich weniger begabten Babys sollten rücksichtsvolle Eltern auch die Abkürzung LLP durchgehen lassen.