Briefe aus Pristina

Teil 1: Des Präsidenten Leibgarde

Kosovo – dieses kleine Land auf dem südöstlichen Balkan – es vereint 1001 Gegensätze miteinander. Es kann seine Gäste mit unvergleichlichem Charme und Vitalität vereinnahmen und im nächsten Moment mit den hässlichen Narben eines langen Krieges betroffen machen. „Es wäre einfacher für mich, mit Waffen oder Drogen zu handeln als mich mit ehrlicher Arbeit durchzuschlagen“, erzählt unser Taxifahrer. Zwölf Jahre lang hat er einen der gefährlichsten Jobs überhaupt gehabt, war Leibwächter des Präsidenten Ibrahim Rugova. „Im Krieg habe ich zwei Granatsplitter in den Rücken bekommen. Nun bleibt mir nix anderes übrig als Taxi fahren.“ Aber dann schwärmt er auch schon von den Frauen Pristinas, die er (nicht ganz zu Unrecht) als die schönsten der Welt bezeichnet, von Peja, dem besten Bier (der Welt…), und beschreibt uns den Weg zu ein paar Nachtklubs, die wir unbedingt besuchen sollten.
Die Absurdität, das Chaos und Improvisierte, Brutalität und Lebenslust – das alles sind Elemente des täglichen Lebens im Kosovo. Im Februar 2008 erklärte das Kosovo (ehemals jugoslawische und serbische Provinz) seine Unabhängigkeit als vorläufigen Schlusspunkt eines Konfliktes, der 1989 begann, dessen Geschichte aber bis ins Jahr 1389 zurückreicht. Das Kosovo ist damit der jüngste Staat der Welt – mit einem der ältesten Probleme der Welt.
Die Tourismusbranche des Kosovo hat eindeutig noch Wachstumsreserven – dezent ausgedrückt. Dennoch hat das kleine Land seine Reize: die atemberaubende Landschaft, die vor allem im Süden und Westen mit den wildromantischen Gebirgsketten und Flussläufen mehr als sehenswert ist, und das Nachtleben Pristinas. Und auch wenn Korruption und organisierte Kriminalität die größten Wirtschaftsfaktoren im Kosovo sind, fühlt man sich als Tourist nicht unsicher. Das Wohlbefinden der Gäste ist Quell größter Sorge und Bemühungen für die Einheimischen und es ist weitaus wahrscheinlicher auf ein Getränk eingeladen als ausgeraubt zu werden. Diese Herzlichkeit macht so einiges an Desaster wieder wett. Noch ist der Latte-Machiato-Revanchismus nicht ganz im Kosovo angekommen und vieles ist noch wunderbar unverbraucht. Deshalb der Tipp: den Balkan vom Kosovo aus kennenlernen!
Demnächst in Teil 2: „We want the Germans!“ Zu Besuch bei der Bundeswehr in Prizren. Die monatliche Kolumne „Briefe aus Pristina“ erscheint deutschlandweit immer zuerst im port01.
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