Yeti Jazz vom Formelwesen

Foto: Florian HildebrandtEine Frage irrlichtert nach den Konzerten von Formelwesen immer wieder durch den Raum: Ist das jetzt eigentlich Jazz, oder was? Auch bei den sechs Bandmitgliedern stößt das Label (die Schublade) „Jazz“ auf unterschiedliche Begeisterung. Nach einer langen Diskussion im Tourbus formuliert Schlagzeuger Ketan Bhatti den gemeinsamen Nenner: „Wenn Leute nach dem Konzert begeistert sind und sagen: „Wow, also wenn das Jazz ist, dann kann ich mir das ja in Zukunft öfter geben!“
Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum sich die Berliner Band gegen die Bezeichnung Jazz für ihre Musik sträubt: Erstens klingt es nicht gerade aufregend zu einem Jazzkonzert zu gehen, eher nach Sitzveranstaltung, gewichtigem Kopfnicken und gelegentlichem Gähnen in Abendgarderobe. Zweitens fanden alle sechs Musiker auf ganz unterschiedlichen Wegen und aus verschiedenen Musikrichtungen zum gemeinsamen Projekt. Bhatti begann als Schlagzeuger in diversen Reggaebands und tourte schon als Teenager durch Europa. Milian Vogels erste Liebe war der Hip Hop. Er spielt bei Formelwesen Saxofon und Bassklarinette, zusammen mit Gitarrist Nikolas Tillmann ist er auch noch mit der bemerkenswerten, deutlich rocklastigeren Band NIAS unterwegs. Als Schlagzeuger übrigens… Bassist Hannes Huefken könnte mit seinem enzyklopädischen Musikwissen sogar die Nerds vom Rolling Stone in die Tasche stecken. Ihn irgendwo zwischen Funk, Blues, Jazz, Rock usw. zu verorten fällt sicherlich am schwersten. Aber Formelwesen ist ja gerade da, um das ganze frigide Hilfsvokabular der Musikjournalisten ad absurdum zu führen.
Daran arbeiten vor allem die beiden letzten Bandmitglieder, Regisseur Michael Geithner (Geis) und Animationsfilmer Nicolas de Leval Jezierski. Denn Formelwesen nur mit den Ohren wahrzunehmen, wäre wie Wein aus dem Pappbecher, Sex in der Abstellkammer, Bollywood auf dem Schwaz-Weiß-Fernseher – einfach unsinnlich. Die Videoperformance und die skurillen Auftritte der bandeigenen Monster Morboy und Wigfried sind nicht nur Ergänzung oder lustiger Sidekick um die Konzentration des modernen dauerberieselten Menschen während längerer Improvisationsphasen aufrechtzuerhalten. Wenn sich die Instrumente aus den klassischen Liedschemen verabschieden und statt Melodie Stimmung erzeugen, zoomt das Auge von den Musikern auf die Leinwand und wird dort aufgefangen im weichen Kissen der Illusion, in bizarrem Traum oder buntem Feuerwerk. Kino und Musik verschmelzen in der denkbar schönsten und innigsten Weise.
September 2009 erschien das erste Studioalbum der Band, „Diggin‘ Demons.“ Die Kritiker haben es bereits hoch gelobt, aber mit dem Formelwesen ist wie mit dem Yeti. Keiner, der es nicht gesehen hat, weiß wirklich wie es aussieht…