Briefe aus Pristina

Teil 3: Die kleine große Welt des Fußballs

Es ist Sonntagnachmittag und durch die Flaniermeile Pristinas zieht lauthals singend eine Gruppe Fußballfans. Doch das Fußballstadion in der Innenstadt ist menschenleer. Nur drei Jugendliche stehen vor der baufälligen Arena. „Heute ist das Derby, FK Pristina gegen FK Flamurtari“, erzählen Sie uns, „das Top-Spiel der ersten Liga. Wir spielen auswärts, wollt ihr bei uns mitfahren?“ Wir quetschen uns zu sechst in einen uralten Audi und die drei erzählen uns, dass sie eigentlich Studenten sind. „Aber unsere Uni entspricht nicht dem europäischen Niveau und darf keine offiziellen Abschlüsse mehr vergeben.“ Nun müssen sie warten, um auf die „richtige“ Universität wechseln zu können. Da ist Fußball eine willkommene Abwechslung.
Das Stadion hat nur eine Tribüne, besser gesagt ein Gerüst, auf dem sich die etwa 1000 Zuschauer gegenseitig festhalten, denn es fehlt an Schutzgeländern. Es gibt keinen Ticketschalter, kein Merchandising, keine Logen und keine Promotionteams. Der Eintritt kostet zwei Euro und das Cateringkonzept des ausrichtenden Fußballklubs Flamurtari besteht aus ein paar Achtjährigen, die mit Eimern herumlaufen, in denen Getränkedosen schwimmen. Es gibt kein Bier, dafür knabbern alle geröstete Nüsse, deren Schalen den matschigen Fußboden bedecken.
Bereits Mitte der ersten Halbzeit droht das Spiel ein unrühmliches Ende zu finden, als der Linienrichter, nach minutenlangen Hohngesängen der berüchtigten „Prishtina Plisat“ und nach dem ihm Dutzende bunte Rauchbomben um die Ohren geflogen sind, beleidigt seine Fahne einrollt und das Feld verlässt. Nach langen Diskussionen können ihn Trainer, Spieler und Polizisten überreden weiterzumachen. Die Heimmannschaft gewinnt schließlich mit 3:2 und nach dem Spiel verteilt sich das aus dem Stadion strömende Menschengewusel in den kleinen dreckigen Gassen der Stadt. Unsere drei Freunde steigen wieder in ihr Auto. Wir laufen zurück ins Zentrum und brauchen genauso lang wie für die Hinfahrt. Unterwegs überholen uns zwei Jungen auf einem Ochsengespann. Dicht hinter ihnen im Verkehrschaos lauert ein nagelneuer Ferrari auf seine Chance zu überholen.