Zum Abschluss der Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Wie viel UNMIK und EULEX steckt in der Republik Kosovo?

In ihren Stellungnahmen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag drückte sich die deutsche Regierung unmissverständlich aus: die Unabhängigkeit des Kosovo ist Realität und nicht mehr zurückzunehmen. Deshalb betont Deutschland auch, dass dem Gutachten eine eng umrissene Fragestellung zu Grunde liegt: „Ist die unilaterale Unabhängigkeitserklärung durch die provisorischen Institutionen der Selbst-Regierung des Kosovo in Einklang mit dem internationalen Recht?“
Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass der IGH gern über die eigentliche Fragestellung hinaus geht. Auch Völkerrechtler Matthias Ruffert von der Universität Jena weist daraufhin, dass die Statusfrage praktisch immanent ist. Ein Gutachten stellt zwar keine verbindliche Entscheidung dar, für das beantragende Organ – in dem Fall die Generalversammlung der UN – schafft es dennoch neue rechtliche Grundlagen.
Das Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner im Sinne des Völkergewohnheitsrechts ist nicht bestreitbar. Der IGH wird auch das Sezessionsrecht der Kosovaren, als eine Art Notwehrrecht, das ausgeübt werden kann, wenn einem Volk der Verbleib in einem Staat nicht mehr zugemutet werden kann, anerkennen. Er wird auch schwere Menschenrechtsverletzungen und die systematische Verweigerung fundamentaler Rechte der Kosovo-Albaner durch die Serben bestätigen. (Es wird interessant sein zu sehen, ob in dieser Frage auch die Verbrechen der UÇK beleuchtet werden und die Tatsache, dass die fatale Logik der interethnischen Auseinandersetzungen im Kosovo Aggressoren auf beiden Seiten kennt, auch in der jüngsten Geschichte.)
Ein Fall sui generis liegt allerdings in der zweiten entscheidenden Frage vor: erfüllt(e) das Kosovo die Qualität eines souveränen Staates? Hier gilt es zu bewerten, ob es eine effektive Staatsgewalt über ein Staatsvolk auf einem Staatsgebiet gibt. Einiges spricht dagegen: die Übergangsverwaltung durch UN und EU hat wesentliche Kompetenzen in Judikative, Exekutive und vor allem der Legislative. Ohne Zustimmung von Yves de Kermabon, Leiter der EU-Mission EULEX, kann Premier Hashim Thaçi kein Gesetz verabschieden. Die Kompetenzen sollen schrittweise an die Selbstverwaltungsorganisationen des Kosovo übertragen werden. In der Praxis zeigt sich aber, dass den kosovoalbanischen Beamten Erfahrung und Ausbildung fehlen und die niedrigen staatlichen Gehälter von Korruption abhängig machen (eine Putzfrau bei der EULEX verdient ungefähr doppelt soviel wie ein Richter). Selbst große Teile der Verfassung wurden von einer Agentur der EU in Flensburg entworfen. Nördlich des Ibar, wie generell in den mehrheitlich von Serben bewohnten Gebieten, werden die Institutionen der Republik Kosovo nicht anerkannt. Parallelinstitute wurden aufgebaut, die serbische Währung und Autokennzeichen beibehalten, Wahlen werden ignoriert, auch weil hochrangiges politisches Personal aus ehemaligen UÇK-Kommandeuren besteht.
Letztlich wird der IGH also entscheiden müssen, wie viel Protektorat ein Staat verträgt und wie viel UNMIK und EULEX in der Republik Kosovo stecken.