Fisch mit Fenchel

Gestern Nacht kam ich mit meiner Freundin von der Arbeit. Wir hatten gerade unsere Bahn verpasst und um die Zeit totzuschlagen beschlossen wir, uns an einem Dönerstand noch einen kleinen Nachtimbiss zu genehmigen (Bargeld, eben verdient, juckt auch immer so in der Tasche). Am Stehtisch neben dem Imbiss tranken drei ältere Türken Tee und amüsierten sich über den Verkäufer, der mit einem Wischtuch als Propeller einem kleinen Jungen hinterher rannte. Völlig unbeeindruckt dessen, feierten etwa zwanzig barhäuptige Männer mittleren Alters, höherer Betrunkenheit und niedriger Einschaltquote heiter wie die Kinder den dritten Platz der Fußballnationalmannschaft.
Während wir am Tresen stehen und warten packt mir plötzlich ein Typ von der Statur eines Braunbären auf die Schulter und schiebt sich aufmerksam grummelnd vor mich. Da ich eher filigran gebaut bin und auch nicht dazu neige in heldenhafter Posse meine natürlichen Gesichtszüge aufzugeben, nehme ich den Fehdehandschuh nicht an und lasse diesem Schnapsgeschwängerten Stück Pathetik den Vortritt. Ein Seitenblick auf meine Freundin verrät mir allerdings: SIE wird diese Niederlage nicht in feiger Vernünftigkeit akzeptieren. Hochrot klingelt sie beim Braunbär: „Entschuldigung, wir stehen hier auch an!“
Seine Augenbrauen formieren sich zu einem Aufwärtshaken: „Das innressiert misch gar nisch!“
„ Aber mich interessierts!“
Immer noch selbstsicher die Problematik mit Eloquenz lösen zu können, artikuliert er mit vollem Körpereinsatz: „Geh mer nich aufn Sack, du bissn Aschloch!“
„Wieso bin ich denn ein Arschloch, Sie kennen mich doch überhaupt nicht?!“
Die Situation droht zu eskalieren, ich suche nach einem Gegenstand den ich ihm auf den Kopf schlagen könnte.
„Zigge“, brummelt er.
Sie reagiert nicht mehr.
„Aschloch“. Nochmal.
Der Verkäufer kommt. „Bitteschön?“ Fassungslos nimmt der Braunbär zur Kenntnis, dass meine Freundin ihre Bestellung abgibt, schaut sie mit offenem Mund an und dreht wortlos ab.
Als wir unser Essen dann hatten gingen wir zurück zur Haltestelle. Ich fühlte mich leer und schlecht und kastriert und stolz und erleichtert. Während wir dann auf dem Bahnsteig saßen und unsere Kinderdöner aßen, sagte sie zu mir: „Machen wir morgen den Fisch? Mit Fenchel und Karotten?“
Die nächste erschreckende Erkenntnis dieses Abends ließ nicht lang auf sich warten. Meine Eltern waren bei einem Festival in der Nähe und wollten bei uns übernachten. Das ist an sich noch nicht so schlimm, was mir zu denken gab war die Tatsache, dass meine Eltern an einem Samstagabend länger ausgehen und betrunkener nach Haus kommen als ich. Das war seit meiner Jugendweihe nicht mehr passiert. Nicht, dass es an Möglichkeiten gemangelt hätte! Gleich neben der Haltestelle hatte ein Rockkonzert stattgefunden, doch die Band war so miserabel, dass ich mein sauer verdientes Geld für mich behielt (das Jucken schien geheilt, cremende Vernunft!) und mit meiner Freundin heimging. Mit meiner Freundin. In unsere geputzte Wohnung. Den Fisch und das Brot aus dem Gefrierschrank nehmen. Zähne putzen. Gute Nacht. Ich konnte nicht schlafen. Was würde als nächstes passieren? Ruft mich mein Opa an und erzählt mir, dass er mit seiner Pflegerin gekifft hat? Wird Oliver Bierhoff neuer Bassist bei den Rolling Stones? Bin ich uncool geworden! Midlifecrisis mit 22?
Neben mir liegt warm eingekuschelt mein Mädchen. Süße. Und ich merke: ich bin glücklich, ich kann nicht uncool sein. Aber ich bin erwachsen geworden irgendwie. Nächste Woche sollte ich mal wieder was Unvernünftiges tun. Oder lieber erst in zwei Wochen, nach den Prüfungen…