Von der alternativen Eitelkeit

Girolamo Savonarola war einst Herrscher über Florenz und weil er nicht gerade ein Müßiggänger war führte er einen Kampf gegen so ziemlich alles was Spaß macht. So ließ er unter seinem Wahlspruch „Brucciamenti della vanita“ – „Vernichtet die Eitelkeit“ Bücher und Faschingsmasken auf dem Marktplatz verbrennen, damit die hedonistischen Florentiner sich wieder ganz der Läuterung ihrer verkommenen Seelen zuwenden konnten und mehr Zeit zum Büßen haben. Man dankte ihm recht herzlich und verbrannte ihn etwas später an selber Stelle. Mein Bruder ist ebenfalls jemand, der, zum Glück nicht so radikal, jenseits der institutionalisierten Konsumschlacht sein Zelt aufgeschlagen hat, was mir das leidige Geschenkesuchen an Weihnachten und Geburtstagen zusätzlich erschwert, denn was schenkt man jemandem der nichts braucht? Zunächst bin ich davon ausgegangen, dass ihm gefallen könnte was mir auch gefällt. Das war ein Fehler, er trank den Whiskey noch am selben Abend, obwohl ich ihm von der Exklusivität des teuren Getränks berichtete, ohne auch nur einmal zu schlurfen oder zu gurgeln, sich die Lippen zu lecken, den schweren Fluss des Tropfens aus dem Glas zu würdigen oder seine einzigartige bernsteinfarbene Aura zu preisen. Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Dann dachte ich: Dinge, deren Benutzung selbst er nicht verweigern kann, könnten ihm eine Freude machen. Doch auch dies erwies sich als Trugschluss. Statt dem Gürtel den ich ihm geschenkt habe benutzt er immer noch einen alten Schnürsenkel um seine Hose zu fixieren, in den Armeeschlafsack der selbst bei -20 Grad noch warm hält hat letzten Sommer ein Freund von ihm gekotzt und das von der ‚Times’ empfohlene und in Brighton von Künstlern gepriesene ‚Doodles’ Mal- und Schreibbuch verhindert jetzt, kaum benutzt, als tragendes Element den Absturz eines Bücherregals.
Um meine Niederlagenserie zu beenden wechselte ich dieses Jahr wiederum meine Strategie. Wenn er nichts braucht, so dachte ich, dann schenke ich ihm etwas, dass er auch nicht gebrauchen kann und wanderte in einen dieser nach Pachouli stinkenden Alternativläden. Ein schon etwas älterer Inder nickte mir freundlich zu als ich in sein Reich der spirituellen Sinnlosigkeit eintrat. Geschnitzte Fruchtbarkeitssymbole, Duftstäbchen aller Perversionen, Katzen aus Holz mit endlosen Hälsen, Batik- Shirts, Kommoden für die Knopfsammlung, aus Bambus geflochtene Matten für Pilates- und Yogaübungen, Glücksteine, Glückselefanten, Glückskäfer, gregorianische Gesänge und buddhistische Gebete auf CD, alles was anständige Inder in den Ganges schmeißen tauchte hier als tolle Geschenkidee auf. Das wollte ich meinem Bruder dann doch nicht antun. Auf dem Weg nach draußen versucht mich der Verkäufer zu überzeugen doch noch etwas zu kaufen, doch ich lehnte dankend ab. Sein Kommentar: „Vielleicht bist du nicht alternativ.“ Zunächst fühlte ich mich etwas beleidigt. Denn beim Vergleich einiger Gegensatzpaare, zum Beispiel alternativ – konservativ, alternativ – arriviert, alternativ – spießig, alternativ – durchgestylt ; sah ich mich schon eher in der alternativen Ecke, wenn man das mal als eine Art Lebensstil betrachtet. Aber was genau ist denn eigentlich alternativ? Dreadlocks, Kordhosen, Fair- Trade- Schokolade, Brustbeutel, kein Fleisch essen, und nur mit Kernseife waschen? Auch in dieser Gruppe fühlte ich mich etwas deplatziert. Wahrscheinlich bin ich dann einer dieser gleichgültigen Establishment- Typen die einfach immer mit dem Strom schwimmen und sich um nichts Gedanken machen und leichenblass den Untergang der sozialen Werte billigen.
Wo war ich bei der letzten Montagsdemo? Lebe ich nicht auch in einem Haushalt voller künstlicher Sauberkeit und wasche mich öfter als dem ph- Wert meiner Haut gut tut anstatt durch eine naturbelassene Lebensweise eine metaphysische Harmonie mit dem Kosmos herzustellen?
Meine Gedanken trugen mich fort, doch ich machte kehrt. Ohne mit der Wimper zu zucken ging ich zurück und tat etwas, das diese Welt wieder ein wenig menschlicher machte, meine Alternativität zumindest partiell wieder rekonstruierte und meinen Bruder vollauf begeisterte. Na ja, zumindest hat er sein neues japanisches Miniatur- Tee- Service noch nicht aus Versehen weggeschmissen.