Manufacturing Consent

Noam Chomskys Propagandamodell.
Warum die Nachrichten manchmal lügen.

1. Einleitung
Nach einer kurzen aber umso schmerzlicheren Zeit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ist ein weitgehender Konsens in der westlichen industrialisierten Welt darüber entstanden, dass das Volk regieren soll, also alle Bürger eines Staates, repräsentiert von einer gewählten Regierung.
Die absolute Herrschaft einiger Weniger, nenne man sie Monarchie, Aristokratie, Oligarchie, Diktatur, Tyrannei oder wie auch immer, scheint ein Verdikt der Vergangenheit zu sein, das sich nicht mehr mit unserem Politikverständnis, mit unseren Grundrechten und unserer Individualität vereinbaren lässt.
Damit hat jeder Staatsbürger auch eine Verantwortung übernommen, denn der Prozess der politischen Willensbildung obliegt nun jedem selbst. Diese Willensbildung erfolgt durch den Bezug von Informationen aus verschiedenen Medien. Deshalb ist es „ein demokratisches Postulat, dass die Medien unabhängig und zu objektiver und wahrheitsgemäßer Berichterstattung verpflichtet sind.“
Noam Chomskys politisches Engagement ist unter anderem darum bemüht, aufzudecken, dass die Medien diesen unabhängigen Status verloren haben und zu häufig dem Zweck dienen, „Unterstützung für die ökonomischen, sozialen und politischen Interessen privilegierter Gruppen [zu erreichen, C.G.] die die Wirtschaft dominieren und daher zum größten Teil auch die Regierung kontrollieren.“
Das Propagandamodell von Noam Chomsky, das die Beeinflussbarkeit der Medien am Beispiel der USA analysiert, soll nachfolgend vorgestellt werden. Es dechiffriert die Mechanismen der Gedankenkontrolle und deckt die Verflechtungen zwischen Medien, Wirtschaft und Regierung auf. Chomskys These, dass die Medien ein falsches Bild der Realität vermitteln, insbesondere über die amerikanische Außenpolitik, soll dabei erörtert werden, wobei der Abschnitt über seine Kritik an der Kriegsberichterstattung einen Einblick in die breite empirische Basis gibt, auf die Chomsky seine Thesen baut. Als Einleitung in sein Denken soll die Fragestellung des „Orwellschen Problems“ dienen: „Wie kommt es, dass wir – als Bürger einer demokratischen Gesellschaft – so wenig wissen, obwohl wir doch im Prinzip über so viele Informationen verfügen?“
In der Philosophie, Psychologie und Linguistik verbindet sich eine gleichermaßen spektakuläre Wirkung mit seinen Schriften. Durch die Kompromisslosigkeit seiner Äußerungen und seinen „moralischen Rigorismus“ hat er sich allerdings auch oft heftigen Anfeindungen aussetzen müssen. Abschließend soll hier erläutert werden, wie sich seine politischen Schriften in sein Gesamtwerk einordnen lassen und welches Menschenbild ihnen zugrunde liegt.

2. Propagandamodell

2.1. Orwells Problem
Das Propagandamodell entwickelte Noam Chomsky 1988 zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Edward S. Hermann. Es wurde veröffentlicht in dem Buch „Manufacturing Consent“, dessen Titel sich auf den von Walter Lippmann geprägten Ausdruck „to manufacture consent“ – Konsens herstellen, bezieht. Lippmann war einer der einflussreichsten politischen Journalisten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und Assistent von Woodrow Wilson bei der Ausarbeitung des 14- Punkte- Programms. Er beschreibt in seinem Buch „Public Opinion“, dass Propaganda ein reguläres Organ der Regierung sei, mit dessen Hilfe eine Elite („specialized class of responsible men“) den Willen der Masse der Bevölkerung lenkt, die er als „wilde Herde“ bezeichnet, und die zu dumm sei, eine Meinung zu entwickeln, die dem Wohl des Staates dient.
Lippmanns Meinung und das daraus resultierende Verständnis über die politische Unmündigkeit des Großteils der Bürger und Konzentration der Macht in einer schmalen Oberschicht hat eine lange Tradition: er beruft sich explizit auf Platon, dessen Höhlengleichnis er neu interpretiert, und ähnliche Äußerungen finden wir bekanntlich auch bei Harold Lasswell, John Jay, Charles de Montesquieu und Reinhold Niebuhr, um nur ein paar zu nennen.
Mit dem Aufkommen der modernen Medien hat die Möglichkeit der Manipulation der Meinung eine neue Qualität erfahren. Chomskys Propagandamodell beschreibt, wie die Massenmedien in den USA dieser Vorstellung der politischen Willensbildung dienen, und sich die Gesellschaft somit letztendlich wieder totalitären Strukturen annähert, ohne das Einschränkungen der Meinungsfreiheit, Ausübung oder Androhung von Gewalt nötig sind.
Der Autor des Romans ‚1984’, „George Orwell, war, wie viele Intellektuelle Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, begeistert von der Fähigkeit totalitärer Systeme, der Bevölkerung Überzeugungen einzuimpfen, die offenkundig den Tatsachen widersprachen.“ Was Chomsky als „Orwells Problem“ bezeichnet ist die Tatsache, dass es in Ländern, in denen die Medien unter dem Monopol staatlicher Kontrolle stehen und eine offizielle Zensur besteht, leicht nachzuweisen sei, dass sie die Interessen der Eliten bedienen. In den USA brüsten sich die Medienvertreter allerdings regelrecht damit, Fürsprecher der freien Meinungsäußerung zu sein und decken auch regelmäßig Missstände in der Regierung oder der Wirtschaft auf. Chomsky verweist an dieser Stelle, dass es keinerlei offizielle Einschränkung der Pressetätigkeit gibt, und dass viele Journalisten durchaus in dem Bestreben arbeiten, objektive Berichterstattung zu leisten.

2.2. Die fünf Filter
Wie erreichen aber nun die „Privilegierten“ (im Sinne Lippmanns), dass ihre Sicht der Dinge in den Medien dargestellt wird beziehungsweise dass sich die öffentliche Meinung so bildet, dass sie ihren Interessen dient?
Chomskys Argumentation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Natürlich können sie nicht einfach zu den Medien gehen und ihnen persönlich vorschlagen was sie drucken oder sagen sollen. Stattdessen bieten sie Privilegien und Anreize für diejenigen, die den in der Oberschicht hergestellten Konsens verbreiten. Die Medienvertreter, die im Sinne der Mächtigen im Land berichten, können also damit rechnen, dafür belohnt zu werden, wenn sie nicht entgegen dem Interesse der „specialized class“ berichten, oder anders betrachtet: sie müssen mit Nachteilen rechnen, sollten sie nicht im Sinne der Mächtigen berichten.
Oder es sind die Mächtigen selbst, als Besitzer der Medienunternehmen, die entscheiden was gesendet wird und was lieber nicht, ob etwas umformuliert, in einem anderen Zusammenhang gebracht, übertrieben oder heruntergespielt wird.
Dadurch wird der Informationsfluss einseitig reguliert, was die Unwissenheit der Masse der Bevölkerung begründet, die auf die Objektivität der Berichterstattung vertraut, da sie nicht die Möglichkeit hat selbst Nachforschungen anzustellen. Das Propagandamodell besteht aus fünf Filtern, „die die Nachrichten für die Öffentlichkeit beschränken und garantieren, dass die Medien die Sicht des ‚Big Business’ verbreiten.“ Das Modell ist spezifisch am Beispiel der USA entwickelt, ist aber, laut Chomsky, auf alle Interaktionen der Massenmedien in demokratischen industrialisierten Staaten anwendbar. Nachfolgend werden die fünf Filter einzeln vorgestellt. In dieser Singularität ist das eine Konstruktion, die einzig der Explikation dient. Ihr Wirken bedingt sich dagegen aus der gegenseitigen Verschränkung miteinander und der Abhängigkeit voneinander.

2.2.1. Größe, Besitzer und Profitorientierung der Massenmedien
Der Prozess der Globalisierung hat auch die Medienlandschaft in den letzten dreißig Jahren nachhaltig verändert. Durch Fusionen und Übernahmen sind aus den rund fünfzig großen Firmen, die noch Anfang der 1980er Jahre die Massenmedien dominierten, neun transnationale Konglomerate entstanden (Disney, AOL Time Warner, Viacom, News Corporation, Bertelsmann, General Electric, Sony, AT&T Media und Vivendi Universal).
Diese Unternehmen besitzen fast alle Filmstudios, TV- und Radiosender, Musikunternehmen, sowie Zeitungs-, Zeitschriften-, Bücherverlage und Internetportale, sodass man von einer Monopolisierung der Berichterstattung sprechen kann. Der Einstieg in das Nachrichtengeschäft ist nur noch möglich wenn man die finanzielle Möglichkeit hat, mit diesen Firmen mitzuhalten, was konkret die Notwendigkeit enormen Reichtums erfordert.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass sie nicht nur Nachrichten produzieren, sondern auch die Unterhaltungsbranche bedienen und als Privatunternehmen natürlich ein Interesse an Gewinnmaximierung haben. So schwinden die Grenzen zwischen Werbung, Unterhaltung und Nachrichten, die sich immer mehr mit „Lifestyle“ Themen und Produkten auseinandersetzen. Die Kommerzialisierung der Nachrichten hat zur Folge, dass sie das Interesse der Zuschauer/ Zuhörer/ Leser von politischen Kontroversen ablenkt und in den Subraum des Sensationalismus abschiebt, in dem vor allem Sport, Sex und Gewalt die Themen sind, und die Produkte des Unternehmens angeboten werden können. „Das bedeutet nichts anderes, als dass die Gesamtbevölkerung in ihre traditionelle Apathie und ihren traditionellen Gehorsam zurückgedrängt und aus der Arena der politischen Debatte und des politischen Handelns vertrieben [wird…, C.G.].“
Die Besitzer von Medienkonglomeraten können durch ihre große wirtschaftliche Macht zwischen ihren gemeinsamen Interessen mit anderen großen Firmen, Banken und der Regierung vermitteln. Es entsteht ein Meinungsmonopol, das vor allem ökonomischen Interessen zu dienen hat und vereinheitlichte kulturelle und moralische Wertvorstellungen produziert, auf deren Basis sich die Reflexion über tagespolitische Ereignisse marginalisiert.

2.2.2. Werbung als primäre Einkommensquelle
Bevor die Werbung „erfunden“ wurde, musste der Preis einer Zeitung die Kosten ihrer Produktion decken. Durch den Anzeigenverkauf überstiegen die Gewinne die Kosten der Herstellung bald um ein vielfaches, wodurch die Preise gesenkt werden konnten. Dies hatte wiederum zur Folge, dass Zeitungen, die auf Werbung verzichteten, aufgrund des höheren Preises in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Die Times etwa bezieht inzwischen siebzig Prozent ihrer Einnahmen aus der Werbung und nur etwa dreißig Prozent aus dem Verkauf von Abonnenments oder dem Absatz im Tagesgeschäft.
Damit setzte ein entscheidender Wandel ein: nicht mehr die Wahl des Lesers entscheidet über Reichtum und Überleben eines Zeitungsverlages, sondern die der Werbekunden.
Folgendes Beispiel soll die Funktionsweise des zweiten Filters illustrieren: der öffentliche TV- Sender WNET verlor seinen Hauptsponsor Gulf & Western, nachdem er eine Dokumentation mit dem Titel „Hungry for Profit“ ausgestrahlt hatte, indem die Rolle multinationaler Unternehmen in Dritte- Welt- Ländern kritisch hinterfragt wurde. Gulf & Western beklagte sich darüber, der Beitrag wäre antiamerikanisch gewesen und würde nicht dem Verhalten eines Freundes des Unternehmens entsprechen. WNET hatte daraufhin lange mit dem Überleben zu kämpfen, und der Londoner Economist schrieb: „Most People believe that WNET would not make the same mistake again.“
Die Abhängigkeit der Medien von den Einnahmen aus Werbeanzeigen und, daraus resultierend, von den Einschaltquoten ermöglicht der Werbeindustrie „eine Kontrollfunktion, […] die für die eigenen ökonomischen und ideologischen Interessen genutzt wird.“

2.2.3. Abhängigkeit der Medien von Informanten aus Politik und Wirtschaft
Eine weitere Abhängigkeit beschreibt der dritte Filter, indem er darauf hinweist, dass die Massenmedien eine enge Beziehung zu offiziellen Informationsquellen pflegen und die gelieferten Fakten oft unreflektiert verarbeiten. Chomsky gibt dafür im Wesentlichen Gründe des ökonomischen Haushaltens und Rekurse auf die ersten beiden Filter an: die oben erwähnten Beziehungen der Medienbesitzer zu Regierungskreisen etwa, die wiederum für die staatlichen Informationsquellen verantwortlich sind und natürlich auf eine positive Außendarstellung des politischen ‚Outputs’ bedacht sind, der dann ohne kostspielige investigative Hinterfragung als ‚Input’ in den Redaktionen abgeschrieben wird.
Die staatlichen Institutionen, die sich mit der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigen und ihre erarbeiteten Berichte, Beiträge und Filme anderen Medien zur Verfügung stellen, sogar direkt zuschicken, bezahlen mehr Mitarbeiter und haben ein weitaus größeres Budget als alle Zeitungen. So beschäftigte zum Beispiel allein die Air Force im Jahre 1968 stolze 1305 Vollzeitangestellte in der Öffentlichkeitsarbeit, die im Zeitraum von 1969- 1979 Beiträge in 140 Zeitungen, 34 Radiosendern und 17 TV- Stationen unterbrachten, sowie 6600 Interviews mit Nachrichtenmedien führten und 3200 Pressekonferenzen veranstalteten. Aufgrund ihres Status’ und Prestiges wird die Glaubwürdigkeit solcher Informanten nicht in Frage gestellt. Ein weiterer Grund schlägt wiederum eine Brücke zum zweiten Filter. Denn durch die Verschiebung der Haupteinnahmequelle zugunsten der Werbung, verschieben sich auch die Aufgaben der Beschäftigten eines Medienunternehmens. So arbeiten immer weniger Journalisten in den Redaktionen und immer mehr Fachleute an der Entwicklung von Werbestrategien.
Da gleichzeitig immer neue Nachrichten gebraucht werden, die Kosten für den Informationsbezug aber gesenkt werden sollen, konzentriert sich die Berichterstattung auf die Orte, an denen die meisten Informationen fließen. Dazu gehören etwa die Pressekonferenzen im Weißen Haus und Pentagon, oder auf lokaler Ebene Polizeistationen und Bürgermeisterämter, in denen dann eben jene ‚offiziellen Informationen’ verteilt werden.
Chomsky beschreibt die Lieferung von Informationen an die Presse als Strategie, die schon während des Ersten Weltkrieges entwickelt wurde, um die Propaganda zu koordinieren: „The Commitee on Public Information […] discovered in 1917- 18 that one of the best means of controlling news was flooding news channels with ‚facts’, or what amounted to official information.“

2.2.4. „Flakfeuer“
Das Beispiel des TV- Senders WNET der seinen Hauptsponsor verlor, nachdem er zu kritisch über Großunternehmen berichtet hatte (siehe 2.2.2.), kann ebenso gut die Funktionsweise des vierten Filters illustrieren. Er benennt die Beschränkung oder Aussortierung kritischer Stimmen in der Berichterstattung, durch direkte oder indirekte Beschwerden der Kritisierten und Bestrafung der Kritisierenden.
Direktes „Flakfeuer“ oder Maßregelung der Medien kann in Form von Beschwerden durch Briefe, Telegramme, Anrufe, Petitionen, Klagen und Bedrohungen von Einzelpersonen oder Gruppen mit großem Machteinfluss erfolgen. Im Falle des Fernsehsenders zog die nicht im Interesse des Unternehmens Gulf & Western gelegene, kritische Berichterstattung erhebliche finanzielle Konsequenzen nach sich. Der Journalist, der für den Beitrag verantwortlich zeichnete, wurde bestraft, indem die Darstellung seiner Meinung beinah zum Bankrott seines Arbeitgebers geführt hatte.
Maßnahmen die Chomsky als indirektes „Flakfeuer“ bezeichnet, sind etwa: Beschwerden der Mächtigen bei ihren Aktionären oder Angestellten über die antiamerikanische Verhaltensweise der Medien, die den Unternehmen schade, oder durch politische oder werbeinitiierte Kampagnen mit ähnlichen Aussagen. Die ‚Wirtschaftsgemeinschaft’ habe die Misskreditierung der Medien sogar institutionalisiert, indem sie das Wachstum von Unternehmen finanziert, deren spezifischer Zweck es sei, das beschriebene „Flakfeuer“ zu produzieren.
Eine dieser Institutionen ist etwa die Firma Accuracy in Media (AMI), die 1969 mit einem jährlichen Einkommen von $5000 ihre Arbeit aufnahm, und 1980 ungefähr $1,5 Millionen an Spenden durch Großunternehmen erhielt. Chomsky beschreibt die Funktion von AMI, hier stellvertretend für weitere vergleichbare Firmen vorgestellt, folgendermaßen: „The function of AMI is to harass the media and put pressure on them to follow the corporate agenda and a hard- line, right- wing foreign policy.“ Dies erreiche AMI zum Beispiel dadurch, dass sie, getarnt als Diskurs über mehr „Fairness“ in der Berichterstattung, öffentlich von den Medien verlangen, enthusiastischer die Ehrbarkeit und moralische Lauterkeit der Ziele amerikanischer Außenpolitik darzustellen
Sehr aufschlussreich ist die sich daran anschließende politische Debatte über die „Demokratisierung der Medien“, in der die Verantwortung der Medien nicht durch das in der Einleitung beschriebene Postulat gekennzeichnet ist, sondern es ihre Aufgabe sei, höheren Interessen der Gesellschaft und des Staates zu dienen. Für genauere Ausführungen zu dem Pseudodiskurs über ein „Übermaß an Demokratie“ , sei hier auf den Aufsatz „Demokratie und Medien“ in Noam Chomskys Buch Notwendige Illusionen verwiesen. Eine symptomatische Äußerung für das, was Chomsky als indirektes Flakfeuer bezeichnet, ist aus jener Debatte entnommen, und soll die Vorstellung des vierten Filters abschließen:
Der neue Journalismus sei „von einer oft hirnlosen Bereitschaft“ gekennzeichnet, „nach Konflikten zu suchen, von Staat und Autorität überhaupt immer nur das schlimmste zu denken und dementsprechend die Beteiligten immer in die ‚Guten’ und die ‚Bösen’ aufzuteilen.“ Die Weiterführung dieses Gedankens führte zu
der absurden Behauptung, dass die negative Berichterstattung über die Tet- Offensive mit dazu beigetragen habe, dass der Vietnamkrieg verloren wurde.

2.2.5. Antikommunismus als Kontrollmechanismus
Der fünfte Filter beschreibt, dass Nachrichtenbeiträge, die ein gutes Bild von politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen und Tatsachen in kommunistischen Ländern widerspiegeln, oder sich nicht deutlich genug zum Kapitalismus bekennen, keine gute Ausgangsposition haben, veröffentlicht zu werden.
Chomsky erklärt, indem der Kommunismus zur Personifikation des ultimativ Bösen gemacht worden sei, habe der Antikommunismus einen religiösen Charakter angenommen. Dabei beschreibt er den Antikommunismus als eine Ideologie mit großzügigen Umrissen, die im Prinzip alle Ziele amerikanischer Außenpolitik rechtfertigt und, als logischen Umkehrschluss, alle Kritik an der „amerikanischen Verteidigung gegen den Kommunismus“ als antiamerikanisch, beziehungsweise prokommunistisch polemisiert und den jeweiligen Kritiker in die Unglaubwürdigkeit abdrängt. Die Medien nähmen die Dichotomisierung der Welt in ‚Gut’ und ‚Böse’ gern auf, wodurch ein eklatanter Patriotismus und eine ständige Angst vor „den Roten“ geschürt werde, was einen negativen Einfluss auf die Objektiviät der Berichterstattung ausübe.
Diese Gedanken werden, im Bezug auf die Außenpolitik, im nächsten Abschnitt noch ausführlicher entwickelt.
Die Ansicht von Günter Grewendorf, dass mit der Auflösung der Sowjetunion der fünfte Filter weggefallen sei, scheint nur halbherzig durchdacht zu sein. Die beiden Golfkriege, sowie der Afghanistan- Einsatz haben deutlich gezeigt, dass die Ideologie des Antikommunismus nahtlos durch die des Antiterrorismus ersetzbar gewesen ist. Darauf verweist beispielsweise auch der Bericht einer überparteilichen Kommission unter Leitung Donald Rumsfelds, die Anfang der Neunziger Jahre über die Errichtung eines Raketenschutzschildes beriet: „War es im Kalten Krieg um eine Abwehr gegen den (nuklear) gleich starken strategischen Gegner Sowjetunion gegangen, so rückte nun die potentielle Bedrohung durch sogenannte ‚Schurkenstaaten’ in den Mittelpunkt – unberechenbare Diktatoren oder antiwestliche Regime in der Dritten Welt, die sich Raketen und Kernwaffen verschaffen wollen.“ Ob die Gefahr, die von Iran und Irak ausging, so groß war, dass sie gleich zwei Kriege rechtfertigte, und ob die beiden Golfkriege in einer sachlichen Medienlandschaft auch als Verteidigungsmaßnahmen dargestellt worden wären, ist zumindest fragwürdig.

3. Kritik an der Berichterstattung über den „Krieg gegen den Terror“
„Das vielleicht beeindruckendste, oft aber schwierigste und verwirrendste an den Analysen Chomskys ist der gewaltige Berg an Tatsachenmaterial, den er zur Unterstützung seiner Thesen […] anführt.“ In diesem Abschnitt kann deshalb nur ein kleiner Eindruck davon gegeben werden, wie Chomsky die Thesen seines Propagandamodells anhand einer empirischen Basis zu verifizieren sucht. In Manufacturing Consent liegt der Schwerpunkt der Beweisführung in einer Analyse über die Kriegsberichterstattung durch die amerikanischen Massenmedien, exemplarisch soll hier die Argumentation und Beweisführung des Abschnitts Worthy and Unworthy Victims (S.37- 87) vorgestellt werden.
Chomsky stellt in dichotomischen Modellen historische Parallelfälle einander gegenüber, und vergleicht Anzahl, Länge und Stellenwert der erschienenen Zeitungsartikel in der New York Times, Time und Newsweek, sowie des Nachrichtensenders CBS News über einen Zeitraum von achtzehn Monaten, ab dem ersten Bericht. Die historischen Parallelfälle sind dabei so konstruiert, dass sie zwei Verbrechen größtmöglicher Ähnlichkeit (Zeitpunkt, Art des Verbrechens, Beweislage, etc.) einander gegenüberstellen, die sich lediglich durch den Urheber des Verbrechens unterscheiden: „Verbrechen, die unseren Feinden zugeschrieben werden können, auf der einen, und Verbrechen, für die die Vereinigten Staaten und ihre Klienten die Verantwortung tragen, auf der anderen Seite.“
Das konkrete Beispiel (siehe Tabelle) ist der Fall des ermordeten Priesters Jerzy Popieluszko, der 1984 in Polen von kommunistischen Polizisten ermordet wurde, der unter anderem verglichen wird mit der Berichterstattung über die Ermordung zweier Offizieller der Guatemalan Mutual Support Group 1985, durch eine paramilitärische Gruppe, die von den USA ausgebildet und ausgerüstet wurde.

Chomsky sieht die Flut der Artikel über die Ermordung des Priesters als Indiz dafür, dass sie propagandistischen Zwecken dient, nämlich der weiteren ideologischen Festigung des Dogmas des Antikommunismus. Deshalb bezeichnet er Popieluszko als ‚wertvolles Opfer’ für die Medien. Dass die Presse hingegen auf ausführliche Berichte über die grausamen, mit Steuergeldern finanzierten Konsequenzen amerikanischer Außenpolitik, die die Morde an den beiden Offiziellen aus Guatemala bezeichnen, verzichtet, begründet er damit, dass sie ‚nicht wertvolle Opfer’ sind.
Es gibt, in Anwendung des Propagandamodells, verschiedene Gründe für die Massenmedien, die Berichterstattung über den selbsternannten ‚Krieg gegen den Terror’ einseitig zu regulieren. Zum einen widerspricht es den Grundannahmen der patriotischen Agenda über solche ‚nicht wertvollen Opfer’ zu berichten, des weiteren liegt es auch nicht im Interesse der privilegierten Elite, die durch kritische Hinterfragung der Ziele der Außenpolitik den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren könnte, womit wirtschaftliche Einbußen, zum Beispiel für die Rüstungsindustrie, verbunden wären.
Weiterer Kritikpunkt Chomskys ist, neben dem dargestellten quantitativen Aspekt, der qualitative Unterschied der Berichterstattung, der zum Beispiel thematisiert, wieso die Morde der Iraker an den Kurden als Völkermord bezeichnet werden, die Morde des amerikanischen Klienten Türkei an den Kurden dagegen nicht, obwohl sie einen vergleichbaren Umfang besaßen. Dies kann hier nicht weiter ausgeführt werden, es sei verwiesen auf das Buch Manufacturing Consent.

4. Schlussbetrachtung
Chomskys Leistung im Bereich der Linguistik führte, um es mit einem Begriff von Thomas S. Kuhn zu sagen, zu einem Paradigmenwechsel, der heute als ‚Chomskyan Turn’ bekannt ist. Er selbst lehnt es (inzwischen) ab, eine philosophische Verknüpfung seiner sprachwissenschaftlichen Lehre mit seinen politischen Reflexionen herzustellen. „Doch sein Restitutionsversuch der alten cartesianischen Lehre von den angeborenen Ideen beinhaltet ein bestimmtes Menschenbild, das für großes Aufsehen in der Philosophie sorgte“ und das über seinen Kritiken an der autoritären und leistungsorientierten Gesellschaftsstruktur der USA immer mahnend wacht. Auf seine Medienkritik bezogen, ist herauszustellen, dass Chomsky die politische Mündigkeit als einen Grad von Verständnis betrachtet, zu der jeder Bürger fähig ist, solange er mit den notwendigen Informationen versorgt ist. Vehement weist er das Menschenbild eines Walter Lippmann zurück, der hier nur als ein Beispiel für eine lange Tradition von Vordenkern elitärer Machtkonzepte in Demokratien erwähnt wurde, und der einen Einsatz von Propaganda für notwendig hält, da die Masse der Bevölkerung zu dumm sei, sich eine Meinung zu bilden, die den höheren Interessen von Staat und Gesellschaft dient.
Durch die Prämisse des Cartesianischen Verständnisses, das in jedem Menschen die Kompetenz zum erfassen komplexen Wissens immanent ist, entrückt Chomsky die Politik aus einer Sphäre, zu der nur Intellektuelle, Spezialisten oder besonders Mächtige Zutritt haben, die sich als Verwalter wirtschaftlicher Interessen etabliert hat, statt soziale Kompetenzen zu vermitteln. „Er betont immer wieder, dass es keines sozialwissenschaftlichen Expertenwissens bedarf, dass Außenpolitik nicht schwieriger ist als die Analyse von Sportereignissen.“
Daran schließt sich auch die Kritik an Chomskys Werk an, die bisweilen die „Einfachheit“ seiner Thesen bemängelt, die auf einem rationalistisch- romantischen Menschenbild beruhe. Chomsky rechtfertigt sich dadurch, dass es sein Ziel sei, die Leute dazu zu bringen, Fragen zu stellen, offizielle Erklärungen zu hinterfragen, ihren Verstand zu gebrauchen […]“ und dazu müsse er sich „in einer Weise äußern, die verstanden wird.“ Die Kriterien der Wissenschaftlichkeit sind seinen politischen Schriften deshalb nicht abzusprechen, dennoch sind sie „weniger akademischer Natur als vielmehr den ideologischen Konsens entlarvende kritische Stellungnahmen zum aktuellen Zeitgeschehen.“
Chomsky nimmt unter Berufung auf Rousseau, Humboldt, Marx und Bakunin eine Position ein, die er als libertären Sozialismus und Anarcho- Syndikalismus bezeichnet. Als Grund für die Entstehung elitärer Konzepte, denen die Medien dienen, sieht er die dominierende Rolle der Wirtschaft im Institutionengefüge der westlichen Demokratien. Die Medien unterliegen der Funktionsweise des gelenkten freien Marktes, da sie selbst Großunternehmen sind und mit noch größeren Wirtschaftsimperien verflochten sind, die ganz wie andere Geschäftszweige ihren Kunden ein Produkt verkaufen. „Ihr Markt besteht aus Werbekunden, und ihr Produkt ist das Publikum (nämlich die Werbekonsumenten). Dabei werden sie eher zu einem reichen Publikum tendieren, da ein solches Publikum die Werbeeinnahmen steigert.
Die provokative Behauptung des Titels dieser Arbeit, dass die Medien lügen, ist also nicht auf die Designierung eines veschwörerischen Komplotts aus, sondern beschreibt eine Unzulänglichkeit der Berichterstattung, die durch das kritische Auge der Bevölkerung eingedämmt werden kann, wenn es nur Interesse an demokratischen Werten beweist und bereit ist, sich für Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung zu engagieren.

5. Bibliographie

5.1. Literatur von Noam Chomsky
-Chomsky, Noam Avram: Spectecular Achievements of Propaganda, (= Reihe:
Pamphlet Series) New York 1997.
-Ders.: The Chomsky Reader, New York 1987.
-Ders.: Necessary Illusions. Thought Control in Democratic Societies, Montreal
1989.
-Ders.: Sprache und Politik, Berlin 1999.
-Ders.: Media Control. The Spectacular Achievements of Propaganda,
New York 1997.
-Ders.: Knowledge of Language. It’s Nature, Origin and Use, London 1986.
-Hermann, Edward S./ Noam Chomsky: Manufacturing Consent. The Political
Econonmy of the Mass Media. With a new introduction by the authors, New York 2002.

5.2. Sekundärliteratur
-Busse, Nikolas: Verteidigung gegen Schurkenraketen. Was Washington will, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 2007, S.3.
-Demmerling, Christoph: Chomsky, Avram Noam, in: Bernd Lutz (Hrsg.): Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Biographisches Lexikon, München 1999, S.104-108.
-Grewendorf, Günther: Noam Chomsky, München 2006.
-Haas-Spohn, Ulrike: Noam Chomsky, in: Julian Nida-Rümelin (Hrsg.):
Philosophie der Gegenwart. In Einzeldarstellungen von Adorno bis v. Wright, Stuttgart 1999, S.144-150.
-Lippmann, Walter: Public Opinion, New York 1922.
-McGilvray, James: Chomsky. Language, Mind, and Politics, Cambridge 1999.
-Salkie Raphael: The Chomsky Update. Linguistics and Politics, London 1990.
-www.chomsky.info